Von Laura Rutishauser – In zwei Jahren gedenken wir der Schlacht von Marignano. Doch anstatt uns um die Deutungshoheit des historischen Ereignisses zu streiten, sollten wir das Jubiläum für eine landesweite Diskussion über die Rolle der Schweiz in der Welt nutzen.
2015 ist mal wieder ein Jubiläumsjahr: Gerade haben wir aus der NZZ erfahren, dass wir dann der Schlacht von Marignano gedenken sollen. 1515 wurden die Eidgenossen im lombardischen Ort von der französischen Armee besiegt und sollen seither jegliche Expansionsgedanken begraben haben.
Manche interpretieren diesen historischen Moment als Geburtshelfer der schweizerischen Neutralität. Und da diese Neutralität ein Eckpfeiler unserer nationalen Identität sei (man verstehe: und bleiben solle), gilt es, der Schlacht von Marignano zu gedenken. Linke Politiker ihrerseits sehen in der Schlacht den Startschuss für eine aktive Neutralitätspolitik der Schweiz, nicht für die Abschottung gegenüber dem Ausland.
Diese verschiedenen Interpretationsweisen zeigen, dass nationale Jubiläen immer auch dazu Anlass bieten, seine Interpretation der Geschichte als die “richtige” darzustellen. Verschiedene politische Parteien und Gruppierungen streben nach der Deutungshoheit eines solchen Ereignisses und wollen damit gleichzeitig Ihre Weltsicht und Politik von heute legitimieren und zementieren. Damit wird aus Geschichte kein Ergebnis der Vergangenheit, sondern eine Antwort auf gegenwärtige Bedürfnisse.
2015 gäbe es nebst Marignano noch anderer Daten zu gedenken: Wem die Neutralität wichtig ist, der sollte wohl auch 200 Jahre Wiener Kongress (1815) feiern. Seit 1815 gehört aber auch der Kanton Genf der Eidgenossenschaft an, und somit könnten wir 2015 auch die internationale, auf Austausch bedachte Schweiz würdigen.
Wichtiger als politische Grabenkämpfe anhand dieser Jubiläen auszutragen, wäre jedoch, sie als Anlass zu nehmen, eine landesweite Debatte über die Rolle der Schweiz in der Welt zu lancieren. Eine zentrale Rolle spielt dabei in der Tat die Frage nach der Neutralität: Wollen und können wir in Zukunft noch neutral sein? Und falls ja, welche Art von Neutralität ist im heutigen weltpolitischen Kontext am geeignetsten, um die Interessen der Schweiz zu wahren?
Wer die Frage nach der Neutralität aufwirft, der muss auch jene nach der Politik der Guten Dienste stellen: In der Nachkriegszeit wurde dieses erfolgreiche Binom der Schweizer Aussenpolitik modelliert und sorgte lange Zeit dafür, dass die Schweiz als diskreter, aber aktiver Player auf der Weltenbühne wahrgenommen wurde. In den letzten Jahren konnte die Schweiz die Rolle der Vermittlerin jedoch immer seltener für sich in Anspruch nehmen.
Gerade diese Rolle wäre aber wichtig, um das angekratzte Image der Schweiz aufzupolieren und nebenbei die Weltengemeinschaft voranzubringen: Darum sollte das Jubiläumsjahr 2015 lieber dazu genutzt werden, um eine Politik der Guten Dienste 2.0 zu lancieren: Die Schweiz soll neu nicht mehr nur Brücken zwischen zwei Konfliktparteien bauen, sondern ihr Know-How als Brückenbauerin und ihre langjährige Erfahrung der Konsensbildung in multilateralen Gremien einbringen, beispielsweise wenn es um das brennende Thema einer Reform der UN-Gremien geht.
Der Blick nach vorne lohnt sich auch im 2015, denn das Gemetzel von Marignano liegt dann schon 500 Jahre zurück, eine vorausschauende Politik wird jedoch nötiger denn je sein.
Laura Rutishauser ist Politologin und Co-Autorin des in Kürze erscheinenden Papers „La Genève Internationale, un enjeu suisse en quête de devenir“
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