Massnahmen aber keine Strategie: Die Schweiz und der Krieg in der Ukraine

Die Ukraine steht kurz vor ihrem zweiten Kriegswinter ohne Aussicht auf Konfliktende. Trotz
Solidaritätsbekundung mit der Ukraine nach Russlands Angriff im Februar 2022, bleibt die
Schweizer Unterstützung, begrenzt durch die gesetzliche Lage, aber auch aufgrund des
Strategiemangels, hinter ihrem Potenzial.

Frieden & Sicherheit

Der erneute russische Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 führte zu unterschiedlichen aussenpolitischen Reaktionen: Die USA und die EU verhängten massive Sanktionen gegen Russland, sendeten Waffen zur Selbstverteidigung an die Ukraine. In der Schweiz beschloss der Bundesrat sich den EU-Sanktionen anzuschliessen, lehnte aber mit Verweis auf die Neutralität die Ausfuhr von Waffen und Kriegsmaterial an die Ukraine ab. Letzteres stösst vor allem im Ausland auf Unverständnis. Nicht zuletzt, weil die Waffenexportdebatte das überschattet, was die Schweiz bereits geleistet hat und noch leisten könnte. Der Umgang des Bundesrates in dieser Sache legt nahe, dass es ihm an einer Strategie fehlt, die zum einen sicherstellt, möglichst gestärkt aus diesem Krieg hervorkommt und zum anderen, dass dies sowohl gegen innen wie auch nach aussen kommuniziert wird.

 

Der Schweizer Weg im Ukraine Krieg

Zunächst ist festzuhalten, dass insbesondere für kleine Staaten Brüche in der liberalen Weltordnung beunruhigend sind. Territoriale Verschiebungen in Europa – auch wenn sie Hunderte von Kilometern entfernt stattfinden – sind nicht im Interesse der Schweiz. Aufgrund der Neutralität kann sich die Schweiz jedoch weder direkt mit militärischen Einsätzen noch indirekt mit Waffenlieferungen an der Gegenwehr der Ukraine beteiligen. Somit ist klar, dass der Handlungsspielraum für die Schweiz, die Ukraine zu unterstützen, begrenzt ist. Das heisst aber nicht, dass die Schweiz keine anderen Möglichkeiten hat.

Es kann aber nicht behaupten werden, dass die Schweiz nicht bereits einiges zur Unterstützung der Ukraine während des Krieges sowie für die Zeit danach beigetragen hat: Neben den finanziellen Zuwendungen der Schweiz, der Weiterführung des 2020 gestarteten Kooperationsprojekts und der Ukraine Recovery Conference im Jahr 2022 in Lugano, kann die Schweiz auch mit Stolz auf die Aufnahme von rund 90’000 ukrainischen Flüchtlingen blicken. Im Idealfall können diese Menschen in absehbarer Zeit wieder in ihre Heimat zurückkehren. Bis dahin unterstützen die Zivilgesellschaft und Staat die Geflüchteten bei der Integration in Schule sowie Arbeitsmarkt. Zudem unterstützt die Schweiz die Ukraine im humanitären Bereich, z.B. bei Minenräumungen, sowohl finanziell als auch durch Schulungen des Genfer Internationale Zentrum für humanitäre Minenräumung.

 

Die Schweiz kann mehr für die Ukraine tun – sofern sie will

Dies bedeutet aber nicht, dass die Schweiz nicht mehr tun könnte und sollte. Ein kohärenter Aktionsplan des Bundesrates – auch in Koordination mit den europäischen Partnern – zur Stärkung der ukrainischen Zivilgesellschaft und Demokratie während und nach dem Krieg fehlt bis heute. Vielmehr ist es bedenklich, dass es kaum institutionalisierte Initiativen der Schweiz gibt. Es existiert derzeit kein breit angelegtes Kooperations- und Dialogformat, das es schweizerischen und ukrainischen zivilgesellschaftlichen Vertreter:innen ermöglicht, gemeinsame Projekte in der Ukraine auszuarbeiten, zu finanzieren und umzusetzen. Solche Projekte könnten beispielsweise die dortigen basisdemokratischen Institutionen unterstützen und ausweiten.

Ebenso könnte die Schweiz auch mehr tun, um die Lage für die Zivilbevölkerung vor Ort zu verbessern und das Leid zu lindern, das durch die Intensivierung der russischen Luftangriffe zunimmt. Es ist unvorstellbar, dass die Schweiz, ähnlich wie NATO-Staaten wie Grossbritannien, Deutschland und die USA, ukrainisches Militärpersonal auf eigenem Boden ausbildet. Dennoch wäre es rechtlich unbedenklich, vermehrt ziviles Personal in der Schweiz auszubilden. So könnten ukrainische Zivilschützer:innen, Polizist:innen oder Feuerwehrkräfte im Rahmen eines Kooperationsprogramms in der Schweiz umfassend ausgebildet und mit dem entsprechenden Material in die Ukraine zurückgesandt werden.

 

Ausblick

Die Betrachtung der Schweizer Hilfsmassnahmen der Ukraine zeigt, dass die Schweiz ein vitales Interesse an der Unterstützung der Ukraine hat und in einigen Bereichen aktiv ist. Es gibt jedoch Raum für eine intensivere und insbesondere strategischere Herangehensweise. Einige solcher Impulse wurden in diesem Beitrag aufgezeigt. Statt sich auf wiederkehrende Themen wie Waffenexporte zu konzentrieren, sollte mehr Fokus auf strategisch orientierte Unterstützung für die Ukraine gelegt werden. Eine umfassende Debatte über die genaue Ausgestaltung dieser Strategie wird dabei bewusst noch nicht vorweggenommen. Eine solche Neuausrichtung der Debatte hierzulande wäre nicht nur wünschenswert, sondern könnte auch dazu beitragen, die Effektivität der schweizerischen Unterstützung für die Ukraine zu erhöhen.