Von Nathalie F. Manac’h – Die CVP will, dass sich die Schweiz stärker in den Herkunftsländern von Asylsuchenden einsetzt. Dadurch soll die Situation vor Ort verbessert und Migrationsströme eingedämmt werden. Migrationsdiplomatie könnte dabei ein wichtiger Eckstein in der Flüchtlingspolitik Europas und der Schweiz sein.
Tunesier und Marokkaner, welche Libyen als Transitstaat benutzen, um nach Europa zu gelangen, dürften momentan, vor dem Hintergrund der militärischen Intervention der arabischen und westlichen Streitkräfte, in der Kategorie des politischen und wirtschaftlichen Flüchtlings im Vergleich zu Kriegsflüchtlingen wohl wenig Hoffnung haben, nach Italien zu gelangen. Der grösste Teil der meist gut ausgebildeten Maghrebiner wird wieder die Heimat zurückkehren müssen.
Nicht nur Europa ist daran interessiert, dass Flüchtlinge aus Nordafrika und dem Nahen Osten wieder in ihre Heimat zurückkehren, sondern auch die Wirtschaft und Gesellschaft der betroffenen Krisengebiete. Erste Ansätze zur wirtschaftliche Reintegration (zum Beispiel Arbeitsplatzbeschaffung) sind bereits von der CVP vorgeschlagen worden. Sie will sich für ein stärkeres Engagement in den Herkunftsländern von Asylsuchenden einsetzen. Dadurch soll die Situation vor Ort verbessert und Migrationsströme eingedämmt werden. Die politische Idee der Hilfe vor Ort vermischt sich aber oft mit Doppelmoral und Parteipropaganda.
Public Diplomacy als richtungsweisend
Der politische Ansatz zur Integration vor Ort scheint aber höchst interessant zu sein und muss weiter entwickelt zu werden. Eine eminente Rolle bei der wirtschaftlichen Reintegration könnten dabei zukünftig die diplomatischen Vertretungen übernehmen: Parag Khanna hält in seinem neu erschienenen, visionären und bestsellerverdächtigen Buch fest[1]: “Diplomats used to be granted immunity on the promise of not intervening in the domestic affairs of host countries. Today successful diplomacy requires exactly that. Embassies must be outposts for economic, intelligence, military, development, and other experts to bring about positive change in societies, helping them provide services their governments might not.”
Diplomaten, Wirtschaftsakteure und NGO’s könnten die Migrationsströme mit soft power indirekt regulieren: Der Flüchtlingsstrom, der Exodus „biblischen Ausmasses“, wie es der italienische Innenminister vor ein paar Wochen heraufbeschworen hatte, dürfte mit grösserem wirtschaftlichem Engagement und proaktiver Kommunikationsstrategie in Form von positiver Diskriminierung der Krisengebiete verhindert werden können .
Der Public Diplomacy kann dabei eine Schlüsselrolle zukommen: Im Kontakt mit Unternehmen, NGO’s und Lobbyisten könnten die aussenpolitischen Vertretungen europäischer Staaten Strategien entwickeln, welche den repartierten Flüchtlingen sowie der lokalen Bevölkerung Zukunftsperspektiven aufzeigen. Man denke zum Beispiel an Start-Up’s, an verstärkte Zusammenarbeit zwischen europäischen und arabischen Universitäten oder an Förderung von Auslandsinvestitionen. Dabei könnten diplomatische Vertretungen verschiedener Staaten kooperieren. Niemand hat – oder sollte über ein grösseres Netzwerk verfügen als Diplomaten.
Den Diplomaten muss mehr Handlungsspielraum eingeräumt werden. Die diplomatische Immunität, welche die Diplomaten vor Verfolgung der Behörden des Empfängerstaates schützt, den Diplomaten jedoch durch ihr Versprechen nicht in die Innenpolitik des Gaststaates einzumischen einen Maulkorb aufzwängt, ist ein Anachronismus geworden. Innenpolitische Angelegenheiten wie Armut oder Terrorismus sind im Zeitalter der „global nations“, auch äussere Angelegenheiten geworden. Ägyptens hohe Jugendarbeitslosigkeit ist auch Europas Problem geworden.
Reformierung der Wiener Übereinkommen
Im Zuge der Globalisierung drängt sich eine Überarbeitung der Wiener Übereinkommen (1961) über die diplomatischen Beziehungen, deren 50. Jubiläum dieses Jahr begangen wird, auf. Insbesondere der Begriff der diplomatischen Immunität müsste überdacht werden. Den westlichen Diplomaten wurde während der arabischen Umstürzen immer wieder vorgeworfen, im Vorfeld unzureichend informiert und gehandelt zu haben. Doch Handeln heisst mehr Diplomatie. Und mehr Diplomatie bedeutet, bessere Bedingungen schaffen.
Gegenwärtig versucht die europäische Grenzschutzagentur Frontex, welcher die Schweiz zur Zeit drei Grenzexperten zur Verfügung stellt, teils bewaffnet mit hard power, ganz nach die Fortress Europa gegen die Flüchtlingsströme zu verteidigen. Ein „Refugium Europa“ soll verhindert werden. Dabei wetteifern die europäischen Staaten um die beste und erfolgreichste Abwehrstrategie und –technik.
Für die Schweiz dürfte es deshalb, angesichts ihrer Bekenntnis zur Neutralität (keine bewaffnetete Frontexeinsätze) zusätzlich und weit darüber hinaus von grossem Interesse sein, die Migrationsdiplomatie in den betroffenen arabischen Staaten zu stärken.
Nathalie F. Manac’h hat an der Universität in Genf Europastudien studiert und arbeitet bei einem Schweizer Beratungsunternehmen. Sie engagiert sich bei foraus in der Arbeitsgruppe Migration.
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