Von Andreas Graf – Vieles deutet darauf hin, dass der palästinensische Vorstoss über die Anerkennung Palästinas in der UNO inhaltlich abgeschwächt wird. Damit sichern sich die Palästinenser die Unterstützung einer breiten Mehrheit der europäischen Staaten. Gleichzeitig wird die Bedeutung der Abstimmung in der UNO etwas relativiert. Das bleibt nicht ohne Auswirkungen für die Schweizer Positionsfindung.
Im foraus-Diskussionspapier „Anerkennung Palästinas als Staat?“, das Mitte August erschienen ist, wird argumentiert, dass die Schweiz Palästina im Rahmen des palästinensischen Vorstosses in der UNO als Staat anerkennen soll. Der Bundesrat und die Aussenpolitischen Kommissionen des Parlaments haben sich bisher um eine klare Positionierung gedrückt. Mit einem nachvollziehbaren Argument: Man will abwarten bis der definitive Resolutionstext steht, über den in der UNO-Generalversammlung abgestimmt wird.
Europäische Unterstützung für abgeschwächte Resolution
Nun, noch gibt es keinen definitiven Resolutionstext. Ibrahim Kraishi, der palästinensische Vertreter bei der UNO in Genf unterstrich an der foraus-Konferenz vom 16. August, dass seine Regierung in intensiven Verhandlungen mit verschiedenen europäischen Staaten stehe. Ziel sei, mit den Regierungen der EU-Staaten einen Text auszuhandeln, der von einer überwiegenden Mehrheit der Europäer unterstützt werden kann. In den letzten Tagen sickerten tröpfchenweise Informationen an die Öffentlichkeit, die andeuten, in welche Richtung sich die Verhandlungen entwickeln. Drei zentrale Punkte sind herauszustreichen:
Erstens dürften die Palästinenser – wenig überraschend – eine Aufwertung von observer entity zum observer state, also zum Beobachterstaat bei der UNO anstreben. Um ein amerikanisches Veto zu verhindern, wird wohl kein offizieller Antrag auf Vollmitgliedschaft im UNO-Sicherheitsrat eingereicht. Die Statusaufwertung zum Beobachterstaat hat in erster Linie Symbolcharakter, zumal die palästinensische Vertretung (das heisst die PLO) bereits jetzt in der UNO-Generalversammlung fast alle Rechte eines Mitgliedstaates besitzt.. Dieses Anliegen bedarf lediglich einer einfachen Mehrheit in der UNO-Generalversammlung. Da die rund 120 Staaten, die Palästina bereits jetzt als Staat anerkannt haben die absolute Mehrheit in der UNO-Generalversammlung stellen, kann von einer Annahme dieses Antrags ausgegangen werden.
Verhandlungswille demonstriert
Zweitens könnte die palästinensische Führung von der Forderung abrücken, dass Palästina in den Grenzen von 1967 anerkannt werden soll. Stattdessen würde deklariert, dass der Grenzverlauf in künftigen Verhandlungen mit Israel geklärt würde und die Grenzen von 1967 als Verhandlungsgrundlage dienen sollen. Diese auf den ersten Blick marginale Änderung ist beim genaueren Hinschauen durchaus bedeutsam: Zum einen bestätigt sie den Willen der Palästinenser, die verbleibenden offenen Fragen in direkten Verhandlungen mit Israel zu regeln. Zum andern werden damit Befürchtungen zerstreut, die Palästinenser würden die Grenzen von 1967 als fix betrachten und diese früher oder später vor einem internationalen Gericht oder gar durch Gewalt durchzusetzen versuchen.
Und drittens wird die Resolution zwar eine symbolische Anerkennung Palästinas als Staat einschliessen, dürfte jedoch den zustimmenden Regierungen den notwendigen Spielraum lassen, die tatsächliche bilaterale Anerkennung des Staates Palästina dem dafür vorgesehenen internen politischen Prozess zu unterziehen. Es ist zudem gut möglich, dass die zustimmenden Staaten die spätere Anerkennung an Bedingungen knüpfen werden. Es wird also kein Automatismus zwischen der Zustimmung zur Resolution und der tatsächlichen Anerkennung geschaffen, wenngleich sich die zustimmenden Staaten einem gewissen politischen Druck aussetzen, die Anerkennung später nachzuvollziehen.
Was heisst das für die Schweiz?
Vieles deutet also darauf hin, dass die Schweiz in der UNO-Generalversammlung über eine Resolution abstimmen wird, die im foraus-Diskussionspapier als „abgeschwächte Resolution“ bezeichnet wird und eine sehr pragmatische palästinensische Haltung wiederspiegelt (siehe S.8 im Diskussionspapier). Die überwiegende Mehrheit der europäischen Staaten wird dieser Resolution zustimmen und es bestehen gute Chancen, dass auch kritische Staaten wie Deutschland, Italien oder die Niederlande sich nicht gegen den Text aussprechen werden. Vor diesem Hintergrund würde sich die Schweiz durch eine Ablehnung der Resolution deutlich ins diplomatische Abseits begeben.
Durch die zunehmende Entkopplung der UNO-Abstimmung von der späteren bilateralen Anerkennung, wird die Bedeutung des UNO-Entscheids zudem relativiert. Im ursprünglichen Szenario musste davon ausgegangen werden, dass nach einer möglichen Zustimmung zur UNO-Resolution die nachträgliche Anerkennung Palästinas nur noch Formsache wäre. Im Fall einer abgeschwächten Resolution wäre der innenpolitische Entscheidungsprozess darüber, ob Palästina als Staat anerkannt werden soll, jedoch keineswegs abgeschlossen. Nach der UNO-Abstimmung hätte der Bundesrat Zeit, – auch unter Berücksichtigung des Resultats der Abstimmung – über eine bilaterale Anerkennung Palästinas als Staat zu entscheiden.
Andreas Graf, lic. rel. int. IHEID & M.P.S. IFSH, forscht in den Bereichen Konflikttransformation und internationale Sicherheitspolitik. Er ist Koordinator der Themen- und Arbeitsgruppen des foraus.
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