Was bedeutet die Wahl von Donald Trump? Die einzige Antwort, die man mit einiger Sicherheit darauf geben kann, ist, dass nun fast alles ungewiss ist. Die USA könnten die Demokratie als gescheitertes Experiment hinter sich lassen; Nato, nukleare Abrüstung und Diplomatie könnten aufgegeben werden. Es kann aber auch sein, dass die USA bald wieder so aussehen, wie wir sie in den letzten Jahren und Jahrzehnten gekannt haben.
Wie es herauskommt hängt davon ab, welchem der folgenden Szenarien die US-amerikanische Zukunft am meisten gleichen wird:
- Kandidat Trump wird Präsident Trump
- Fernsehstar bleibt Fernsehstar, regieren tun andere
- Trump wird nicht – oder nur kurz – Präsident
Das erste Szenario bedeutet, dass sehr vieles sehr anders wird: Diskriminierung und Ausgrenzung von Allen, die nicht weiss, männlich und christlich sind. Endgültige Abkehr vom Freihandel, mit Handelsschranken, Zöllen und offenen Währungskriegen. Eine Sicherheits- und Verteidigungspolitik, in der Menschenrechte gar keine Rolle mehr spielen und die völlig unvorhersehbar wird. Man kombiniere „bombing the shit out of them“, „you have to take out their families“ und „if we have nukes, why can’t we use them“. Russland könnte ein enger Partner der USA werden, während bestehende Verteidigungsallianzen und Partnerschaften obsolet werden. Auch nur angedachte Bestrebungen zur Eindämmung des Klimawandels würden aufgegeben. Die Presse- und Meinungsfreiheit könnten aufgehoben und politische Gegner verfolgt werden.
Insofern Trump eine einigermassen kohärente aussenpolitische Vision zugeschrieben werden kann, ist dies als kurzfristiges Transaktionsdenken einzuordnen. Trump sieht Aussenpolitik nicht als strategische Interessensvertretung, sondern als austauschbasierten Verhandlungsbluff: Was hast du mir zu bieten, was bin ich bereit im Gegenzug zu leisten und werde ich meine Verpflichtungen überhaupt einhalten. (Zu Trumps „transactional worldview“ siehe hier).
Im zweiten Fall kann sich die Welt auf eine extremere Variante der Bush-junior-Präsidentschaft einstellen: erzkonservative Wertepolitik, kapitalfreundliche Wirtschaftspolitik und interventionistische Sicherheitspolitik. In diesem Fall nämlich würden die Geschicke des Landes geleitet von Vizepräsident Mike Pence, Beratern wie Rudy Giuliani, Chris Christie und Kellyanne Conway, und Trumps – nicht gerade für ökonomische Gleichheit sensibilisierten – Kindern. Und Trump würde das tun, worin er weltweite der beste ist: multimediale, spannungsreiche Unterhaltung auf Top Niveau. Wer dachte, der Wahlabend würde zum „Series Finale of America“, müsste sich darauf einstellen, eine weitere Staffel lang mitzufiebern.
Das dritte Szenario dient der Absicherung des Analysten in einer unbekannten neuen Welt: Vielleicht wird Trump sein Amt nicht antreten oder nicht lange ausüben. Denkbar sind verschiedene Gründe dafür: Ein Attentat, eine Amtsenthebung aufgrund strafbaren Verhaltens; in diesem Jahr allein muss sich Trump vor Gericht in einem Vergewaltigungs- und einem Betrugsfall rechtfertigen und das FBI untersucht anscheinend die Beziehungen der Trump-Kampagne zu Vladimir Putin. Gerade noch vorstellbar ist auch eine Auflehnung des Militärs oder der Verwaltung gegen die Regierung Trump, mithin ein Staatsstreich von Innen. Wenn auch diese Szenarien grösstenteils auf den Fall zwei zurückfallen könnten – Trumps Hintermänner und -frauen übernehmen die Regierungsarbeit –, muss die Möglichkeit mitbedacht werden, dass das amerikanische Politsystem bisher undenkbare Kapriolen einschlägt.
Na toll: „Es kommt darauf an“ und „alles ist unsicher“ sind nicht gerade Prognosen, die Orientierung geben. Aussagekräftig sind sie dennoch: Die Wahl Donald Trumps bedeutet die grösstmögliche Unsicherheit über die weitere Entwicklung der liberalen Demokratien weltweit. Es ist tatsächlich möglich, dass das „Ende der Geschichte“ nur eine kurzfristige Verschnaufpause war.
Vor dieser grossen Ungewissheit ist es unmöglich, einzelne Auswirkungen auf die Schweiz zu eruieren. Allerdings wird eine politische Entwicklung in der Schweiz wahrscheinlicher: Wer die Machtübernahme rechtspopulistischer Kräfte befürchtet, hat nun ein Lehrstück, wie solches von statten gehen kann – und dass sich alle zusammenraufen müssen, die solches verhindern möchten. Die Schweiz profitiert davon, mit ihrem direktdemokratischen System eine passende Antwort auf die grassierende Anti-Establishment-Haltung bereit zu haben.
Zum Abschluss bleibt das schriftliche Äquivalent von Katzenvideos: Die Zuversicht, dass das amerikanische Politsystem den Präsidenten Trump als Ausrutscher abhaken wird und seine Checks and Balances im Ergebnis nicht nur den Schaden ausgleichen, sondern das Land vorantreiben werden.
USA, mögt ihr uns als Leitstern unserer Zivilisation erhalten bleiben!