Projekt «Neue Seidenstrasse»: Wie eine Kooperation zwischen der OSZE und China aussehen könnte

Mit dem Projekt „Neue Seidenstrasse“ hat China seine Präsenz und seinen Einfluss in der OSZE Region stetig erweitert. Die OSZE und ihre Teilnehmerstaaten müssen sich dieser Herausforderung stellen und eine Strategie entwickeln, die eine konstruktive Zusammenarbeit mit China auf Grundlage des OSZE-Normkonsenses ermöglicht.

Von Stephanie Liechtenstein und Stefan Wolff

Im Jahr 2013 rief China die sogenannte „Belt and Road Initiative“ (BRI) ins Leben – eine Initiative, die zum grössten Handels- und Infrastrukturprojekt der Gegenwart werden sollte.

Die Initiative verbindet Asien, Europa und Afrika entlang der historischen Seidenstrasse und hat zum Ziel, Eisenbahnnetze, Verkehrskorridore und Häfen zu vernetzen, sowie Kraftwerke und Pipelines zu modernisieren. Mittlerweile beteiligen sich insgesamt 140 Staaten und 30 internationale Organisationen an der BRI, mit Projekten in über 70 Ländern.

Heute ist die BRI zu einem strategischen Instrument der aufstrebenden Weltmacht China geworden und stellt das Kernstück der Aussen- und Wirtschaftspolitik des Landes dar.

Das investierte Volumen ist schier unvorstellbar.

Einer Studie von Pricewaterhouse Coopers aus dem Jahr 2016 zufolge belaufen sich die Kosten der BRI für den chinesischen Staat auf bis zu eine Billion US-Dollar, die in den nächsten zehn Jahren ins Ausland fliessen werden. Weitere Berechnungen des globalen Investments und der Bauverträge Chinas von Derek Scissors zeigen, dass die finanziellen Verpflichtungen Chinas seit 2005 insgesamt über zwei Billionen US-Dollar betragen.

Das bringt enorme geopolitische und geoökonomische Auswirkungen mit sich.

 

Auswirkungen auf die OSZE-Region

Eine Studie des OSZE Netzwerks von Think Tanks und Akademischen Institutionen vom April 2021, die vom Deutschen Auswärtigen Amt finanziert wurde, hat nun die Auswirkungen der „Neuen Seidenstrasse“ auf die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) untersucht. Eine Kurzversion davon ist auch bei OSCE Insights erschienen.

Von den 57 OSZE-Teilnehmerstaaten haben bisher mehr als die Hälfte Absichtserklärungen mit China über eine Beteiligung an der BRI unterzeichnet.

Auch ist das Investitionsvolumen Chinas in den drei von uns untersuchten OSZE-Teilregionen enorm. China hat bis Ende 2020 bereits knapp 94 Milliarden US-Dollar für Investitionen und Bauverträge innerhalb der drei OSZE-Teilregionen ausgegeben: Zentralasien (55 Milliarden US-Dollar), Südkaukasus und Osteuropa (21 Milliarden US- Dollar) sowie Westbalkanstaaten (18 Milliarden US-Dollar).

Zentralasien ist für China besonders wichtig, da die Region für die Anbindung Chinas an die europäischen Märkte entscheidend ist. Daher baut Peking in der Region das Strassen- und Eisenbahnnetz intensiv aus. China investiert auch massiv in die Ölproduktion in Kasachstan – chinesische Firmen kontrollieren dort mittlerweile 25 Prozent dieses Sektors.

Im Südkaukasus und in Osteuropa ist China weniger aktiv. Aber auch hier sind die Hauptmotive des chinesischen Engagements der Transit und der Zugang zu Ressourcen.

Auch in den Ländern des westlichen Balkans geht es China vor allem um den Zugang zu europäischen Märkten, weshalb Peking auch hier massiv in die Verkehrsinfrastruktur der Länder investiert, allen voran in Serbien. Eines der Hauptprojekte der BRI ist hier der Ausbau der Bahnstrecke zwischen Belgrad und Budapest.

 

Empfehlungen

Die OSZE kann es sich daher nicht länger leisten, China und die BRI zu ignorieren und sollte bereits im nächsten Jahr einen Prozess lancieren, der die Parameter einer Kooperation mit China klar definiert.

Letzen Endes ist es eben so, dass die OSZE-Staaten mit China ein Interesse an Sicherheit und Stabilität im euroatlantischen und eurasischen Raum teilen. Das ist besonders auch im Zusammenhang mit den gegenwärtigen Entwicklungen in und um Afghanistan noch einmal deutlich geworden. Dieses übergeordnete Interesse könnte als Grundlage für die Umsetzung der folgenden Empfehlungen dienen:

  • Schaffung eines Minimalkonsenses über eine Kooperation mit China

Die Exekutivorgane und Institutionen der OSZE, sowie der Vorsitz und die Troika, sollten damit beginnen, Zukunftsszenarien für die Beziehungen mit China zu entwerfen. So liesse sich auf der Basis einer Szenario-Planung ein Minimalkonsens innerhalb der OSZE schaffen, wie eine Kooperation mit China aussehen könnte.

  • Verfolgung eines prinzipienfesten, pragmatischen und strategischen Ansatzes gegenüber China

Ein Kooperationsansatz mit China sollte auf den OSZE-Prinzipien basieren und von einer strategischen Vision geleitet sein, die eine zukünftige formelle Beziehung mit China nicht ausschliesst. Dafür könnte die OSZE China zunächst einen Beobachterstatus einräumen. Es ist denkbar, dass sich dieser allmählich zu einer Partnerschaft entwickeln könnte, die auf Chinas Grösse und Bedeutung zugeschnitten ist. Ein möglicher OSZE-Gipfel im Jahr 2025 wäre ein geeignetes Forum, um eine derartige Beziehung mit China zu formalisieren.

  • Gemeinsames Management der Umweltauswirkungen

Es könnte sinnvoll sein, einen formellen Dialog mit China über die Bewältigung der Umweltauswirkungen der BRI auf die OSZE-Staaten zu starten. Hier könnte die OSZE ein Forum bieten, in dem gemeinsame Regeln und Prinzipien der Umweltpolitik ausgehandelt werden. Expertise in diesem Bereich hat die OSZE ausreichend.

  • Entwicklung einer „Agenda für Konnektivität 2.0“

Die OSZE, China, die Europäische Union, und die Eurasische Wirtschaftsunion haben ein unterschiedliches Verständnis von wirtschaftlicher Konnektivität, es gibt aber durchaus Überschneidungen. Damit diese Konnektivitätsvorstellungen trotz ihrer unterschiedlichen normativen Grundlagen zueinander passen und sich auch gegenseitig ergänzen können, empfehlen wir der OSZE, eine „Agenda für Konnektivität 2.0“ zu entwickeln. Um den freien Verkehr von Waren, Kapital, Personen und Ideen zu gewährleisten, könnte die OSZE ein eigenes Forum für neue Ansätze und Ideen etablieren.

  • Einbindung Chinas in einen Rahmen für Menschenrechte

Eine Kooperation mit China im Bereich der Menschenrechte ist derzeit kaum vorstellbar. Chinas jüngste Handlungen sprechen für sich: die anfängliche Vertuschung des Ausbruchs der Corona-Pandemie, die Niederschlagung der Proteste in Hongkong und die Änderungen im Wahlsystem, die Unterdrückung von Menschenrechtsaktivisten, sowie die Inhaftierung von Uiguren und anderen turksprachigen Muslimen in Xinjiang.

China und die OSZE teilen jedoch ein gemeinsames Interesse an Stabilität und Sicherheit. Das könnte den Rahmen für eine Zusammenarbeit mit China bilden, in dem auch Menschen- und Minderheitenrechte verankert sind. Denn China ist sich sicherlich bewusst, dass soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten Missstände schüren, die ihrerseits wieder zu Konflikten und Instabilität führen.

Letztlich darf eine Kooperation mit China weder die menschliche Dimension der OSZE ausser Acht lassen, noch darf sie zu einer Schwächung der menschlichen Dimension im umfassenden Sicherheitsansatz der OSZE führen.

 

Image credits: moerschy on Unsplash.