Von Alexander Spring – Mit einer gewissen Genugtuung beobachten wir seit dem 15. Februar wie sich die Schlinge um den Hals von Muammar al-Gaddafi stündlich enger zieht. Die internationale Gemeinschaft wendet dabei ganz neue Methoden an, um die Luftzufuhr des Despoten zu beeinflussen. Und die Schweizer Aussenpolitik hat daran auch ihren kleinen Verdienst.
Mit der schwindenden Luft nimmt nicht nur der Druck auf Gaddafi sondern auch die Angst zu, dass das angeschlagene Gehirn des Revolutionsführers nicht mehr mit genug Sauerstoff versorgt wird und die internationale Gemeinschaft zunehmend Kurzschlusshandlungen gegen das libysche Volk erwarten muss. Etliche solcher Handlungen sind bereits vorgefallen. Man fragte sich zu diesem Zeitpunkt, wie lange es dauern würde, bis die internationale Gemeinschaft nachzieht und Sanktionen gegen Gaddafi ergreift.
Die schnelle UN-Sicherheitsratsresolution 1970
Zum Erstaunen vieler, dauerte es für einmal nicht lange, bis sich der UN-Sicherheitsrat zu einer Resolution durchringen konnte. Die Sicherheitsratsresolution 1970 führte zu einem umfassenden Waffenembargo, einer Ausreisebeschränkung, dem Einfrieren von Vermögenswerten und einer Überweisung der Vorkommnisse an den Internationalen Strafgerichtshof (ICC). Zudem handelt es sich um die erste UN-Sicherheitsratsresolution, in der auf das Prinzip der Schutzverantwortung (responsibility to protect, R2P) in einem konkreten Fall hingewiesen wird. Damit stellt die Resolution gleich in zweierlei Hinsicht ein Novum dar.
Einschaltung des ICCs
Noch nie wurde der ICC in so kurzer Zeit eingeschaltet. Dies kann durchaus als funktionierende Präventivmassnahme gewertet werden. Gaddafi und seine Verbündeten müssen nun davon ausgehen, dass ihr Verhalten von den Anklägern des ICCs ganz genau verfolgt werden und dass sie für allfällige während des Konflikts begangene Verbrechen nicht ungestraft bleiben werden. Man erhofft sich davon, dass grössere Gräueltaten an der libyschen Bevölkerung unterbunden werden. Neu ist auch die uneingeschränkte Unterstützung der USA bezüglich der Einschaltung des ICCs (obwohl sie immer noch kein Mitgliedsstaat sind). Ein Wermutstropfen bleibt die Finanzierung des Libyenfalles am ICC. Die UNO distanziert sich in der Resolution 1970 ganz klar von allen möglichen finanziellen Verpflichtungen (bezahlen werden wie gewohnt nur die Mitgliedsstaaten des ICCs, darunter auch die Schweiz).
Das Aufgreifen des R2P-Prinzips
Noch erstaunlicher als die schnelle Einschaltung des ICCs erscheint die Erwähnung des R2P-Prinzips. Das R2P-Prinzip wurde am UNO-Weltgipfel 2005 von 150 Staaten einstimmig angenommen und beinhaltet die Verantwortung der internationalen Gemeinschaft „die Bevölkerung eines Staates vor Genozid, Kriegsverbrechen, ethnischer Säuberung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu schützen“. Die Resolution 1970 ist der erste Fall, in dem das R2P-Prinzip im Zusammenhang mit einer laufenden Krise erwähnt wird. Die R2P beinhaltet neben den bereits beschlossenen Massnahmen als ultima ratio auch die Möglichkeit einer militärischen Intervention. Die International Commission on Intervention and State Sovereignty, welche das R2P-Prinzip für die UNO ausgearbeitet hat, geht von einer militärischen Intervention nur im Falle von Massenmord (mit oder ohne Genozidvorsatz) und ethnischen Säuberungen aus. Eine militärische Intervention wird auch im Falle des R2P-Prinzips nur durch Einhaltung des Verfahrens von Kapitel VII der UN-Charta mit einem entsprechenden UN-Sicherheitsratsbeschluss völkerrechtlich legitimiert.
Ein Schweizer Verdienst?
Obwohl sich die offizielle Schweiz nur zurückhaltend zu den Vorkommnissen in Libyen geäussert hat, ist die Resolution 1970 im Kleinen auch ein Verdienst der Schweizer Aussenpolitik. Die Schweiz gehört aufgrund ihrer humanitären Tradition und als Depositarstaat der Genfer Konventionen zu denjenigen Staaten, die sich am dezidiertesten für einen internationalen Strafgerichtshof eingesetzt haben. Mit der Affäre Göldi machte die Schweiz zudem schon vor gut einem Jahr Aufmerksam auf die menschenrechtliche Missstände in Libyen. Dabei hörte man auch vereinzelt den (damals noch verfrühten) Ruf nach dem ICC. Dass sich der ICC nun doch so schnell um den Fall Gaddafi kümmern wird, kann die Eidgenossenschaft als Gründungsmitglied und kräftigen (auch finanziellen) Unterstützer nur freuen. Die neue Praxis des Sicherheitsrates, das R2P-Prinzip zu erwähnen ist ebenfalls mit ein Schweizer Erfolg: Dieses wurde von der Aussenministerin – trotz einer durchaus kritischen Haltung gegenüber humanitären Interventionen – bereits vor einiger Zeit begrüsst.
Ob, wann und wie diese Prinzipien in Libyen schliesslich umgesetzt werden, hängt allerdings nicht von der Schweiz ab, sondern von den mächtigen Staaten.
Alexander Spring, 27, ist Assistent und Doktorand an der Universität Bern im Bereich Völkerrecht und Menschenrechte. Er ist Mitglied bei foraus in der AG Menschenrechte und AG Völkerrecht.
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