Die Baselbieter Erziehungsdirektion sieht sich genötigt, eine Händedruck-Disziplin durchzusetzen, um Integration sicherzustellen. Warum Zwang in Identitätsfragen kontraproduktiv ist und es in der Integration um gleiche Chancen, nicht gleiche Gesten gehen muss.
„Ist im Verhalten der beiden Schüler eine Pflichtverletzung zu sehen oder können sie gestützt auf die Glaubens- und Gewissensfreiheit (Religionsfreiheit) den Handschlag verweigern?“, fragt sich die Baselbieter Erziehungsdirektion. Sie kommt zum Schluss: Sie können nicht. Drei öffentliche Interessen – die Gleichberechtigung von Frauen und Männern, Integration und die Sicherstellung des geordneten Schulbetriebes – und die negative Religionsfreiheit Dritter stehen dem entgegen. Erforderlich macht den Zwang zum Händedruck, notfalls durch Sanktionen bis zu einer Busse von 5 000 Franken durchzusetzen, jedoch nur das öffentliche Interesse der Integration heisst es in der Rechtsexpertise. Da nach hiesiger Wertehaltung die Weigerung weiblichen Lehrpersonen die Hand zu schütteln als Ausfluss einer patriarchalen Haltung zu sehen ist und Gleichberechtigung zentral ist für die Integration, ist ein solches Verhalten nicht zu dulden.
Integration und öffentliches Interesse in Zeiten von Terrorbekämpfung
In der Rechtsabklärung heisst es weiter, das öffentliche Interesse an der Gleichberechtigung der Geschlechter sei mit der zunehmenden Anzahl von ausländischen Personen bzw. vorliegend speziell jener muslimischen Glaubens gewachsen. Dies gelte sicherlich noch vermehrt aufgrund der jüngsten Terrorereignisse in Europa. Integration verlange, dass die Stellung der Frau in der hiesigen Gesellschaft anerkannt wird. Mit Bezug auf Paris und Brüssel unterstreicht die Erziehungsdirektion, dass nur mit dem Einfordern und Einüben der in der Schweiz geltenden gesellschaftlichen Regeln eine Teilnahme ausländischer Kinder und Jugendlicher am wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben und damit der soziale Frieden und die Chancengleichheit gewährleistet werden.
Nun sag, wie hast du’s mit dem Händedruck?
Es gibt in der Schweiz noch keine Präzedenzfälle für diese postmoderne Gretchenfrage und auch keine Rechtsprechung des Bundesgerichtes, auf das sich das Raisonnement der Baselbieter Erziehungsdirektion stützen könnte. Hat sich das Bundesgericht im Fall des Thurgauer Kopftuch-Verbotes an der Schule gegen einen Grundrechtsbeschränkung basierend auf das Sonderstatutsverhältnis zwischen Schülern und Lehrpersonen ausgesprochen, so bedient sich die Baselbieter Erziehungsdirektion nun einer Lesart des öffentlichen Interesses, die in ihrer Leitkulturanwandlung sehr an den französischen main de fer-Laizismus erinnert. Dieser hat sein integratives Potential jeoch längst verloren und ist für die Jugendlichen heute der Banlieues, die aus dem republikanischen Traum der Eltern- und Grosselterngeneration erwacht sind, Sinnbild einer segregierten Gesellschaft. Hat die Schweiz das nötig?
Unverständnis für migrantische Jugendliche
Was bringt es, Terrorbekämpfung über ein Händedruck-Obligatorium betreiben zu wollen? Und weiter: meint die Erziehungsdirektion ernsthaft, dass den beiden vierzehn- und sechzehnjährigen Buben der Händedruck eingeübt werden muss? Natürlich weigern sich die beiden immer noch, oder gerade erst. Weil die Verweigerung nicht eine religiöse Geste war, sondern eine willentliche Entscheidung zweier Jugendlicher, die nach ihrer Identität suchen. Der Entscheid der Erziehungsdirektion und die öffentliche Diskussion im Vorfeld zeugt von Unverständnis. Von Unverständnis für die identitären Konflikte, die Heranwachsende auszufechten haben und für die Soziologie von Islamismus in Europa, vor dem sie sich fürchtet. Ernstgemeinte Integration muss sich um gleiche Chancen bemühen, statt sich auf gleiche Gesten zu versteifen.