Am 7. September zeigten Umfragen, dass sich eine knappe Mehrheit der Schotten für die Unabhängigkeit ihres Landes von Grossbritannien aussprechen. Zahlen, die den britischen Premierminister David Cameron beunruhigen, andere frohlocken lassen. Doch was hat das mit der Schweiz zu tun?
Die Diskussion um die schottische Autonomie ist in Grossbritannien nicht neu. Die Aktionen in den letzten Tagen zeigen jedoch auf, dass die britische Regierung und die Opposition stark beunruhigt sind. Während sich die Queen nicht in das politische Tagesgeschehen einmischt, reisten David Cameron und Oppositionsführer Ed Miliband gemeinsam nach Schottland, um der Unabhängigkeitsbewegung den Wind aus den Segeln zu nehmen. Und immerhin hat Westminster am 10. September beschlossen, ein 13 Milliarden Pfund-Paket für mehr Autonomie Schottlands zu schnüren. Ob dies reichen wird, um ein Votum für die Unabhängigkeit Schottlands von Grossbritannien am 18. September zu verhindern, ist dennoch fraglich.
Die Schotten und allen voran die Unabhängigkeitsbefürworter um Alex Salmond führen die Unabhängigkeitsdebatte sehr emotional. Diese Debatte rein historisch und kulturell zu verorten, wäre allerdings falsch. Die Gründe für die Schotten, einen eigenen Kurs zu bestimmen sind vielmehr pragmatischer Natur: Nachdem der britische Thatcherismus Grossteile der schottischen Industrie opferte und ganz Grossbritannien harschen Sparmassnahmen im Sozialwesen, in der Gesundheitsvorsorge und in der Bildung unterzog, fing der schottische Nationalismus an zu wachsen. Später, 2003, lieferten der Kriegseintritt Grossbritanniens in den Irak, der neoliberale Wirtschaftskurs von Tony Blair und vor kurzem der Umgang mit der Finanzkrise genügend weitere Gründe, diese nationalen Gefühle zu verstärken. Und nicht zuletzt sind viele Schotten durch das aggressive Auftreten der United Kingdom Independence Party UKIP und den damit zusammenhängenden Rechtsrutsch der Torries beunruhigt.
Schottland möchte Europa-Projekt mittragen
Während in der politischen Debatte lange unklar war, ob im Falle einer schottischen Unabhängigkeit das neue Schottland ein EU-Mitglied bleiben würde, haben der scheidende Kommissionspräsident José Manuel Barroso und dessen Vizepräsidentin Vivane Reding präzisiert, dass sich Schottland um eine Neu-Aufnahme bemühen müsste. Den Befürwortern der Unabhängigkeit ist dies ein Dorn im Auge, da sich das neue Schottland als Mitglied der EU sehen würde und Alex Salmond das europäische Projekt mittragen möchte.
Was eine Unabhängigkeit Schottlands für die britische Wirtschaft bedeuten würde, ist schwer abzuschätzen. Auf der einen Seite sprechen sich Finanzvertreter wie die Royal Bank of Scotland oder der schottische Arbeitgeberverband gegen eine Unabhängigkeit aus und die Finanzbranche droht damit, in die Londoner City umzusiedeln. Ebenfalls beunruhigend ist der Umstand, dass Schottland pro Bürger am meisten Geld aus dem Staatshaushalt erhält und als neuer Staat wohl mit einem starken Defizit haushalten müsste. Auf der anderen Seite argumentieren die Befürworter, dass Schottland in Zukunft einen grossen Anteil aus den Erdöleinnahmen erhalten würde und somit das Defizit abfedern könnte (heute fliessen diese Einnahmen nicht in die Restrukturierung der britischen Staatsschulden, sondern werden für laufende Ausgaben wie Militär verwendet).
Viele Fragen über die Integration in die EU und die wirtschaftliche Zukunft Schottlands sind offen. Allerdings hat Schottland nicht die schlechtesten Karten um einen Neustart zu wagen und seine Position auf der britischen Insel und auf dem Kontinent zu behaupten.
Auf jeden Fall wäre die Schottische Unabhängigkeit ein Kraftakt. Hammerwerfer an einem schottischen Highland Game (Quelle: Wiki Commons).
Köppel hat keine Ahnung
Roger Köppel bezeichnete das Streben nach schottischer Unabhängigkeit in einem Editorial der Weltwoche als Streben gegen Eliten und nach mehr Liberalismus. In diesem Artikel verkennt Roger Köppel die Situation vollkommen. Die Unabhängigkeit Schottlands richtet sich nicht gegen die britische Krone, Alex Salmond spricht sich für eine Personalunion der Queen aus, während andere Unabhängigkeitsbewegungen über diese Frage ein Referendum abhalten wollen. Die Queen verhält sich in der ganzen Debatte neutral und wird es vermeiden, sich als Königin den Schotten aufzuzwängen. Auch der dümmliche Vergleich mit dem Verhältnis von Deutschschweizern zu Deutschen zeigt auf, dass Roger Köppel keine Ahnung von der politischen Dynamik in Schottland hat. Die Schotten wollen weiterhin eine Fiskalunion mit England eingehen und sehen England weiterhin als ihren wichtigsten Handelspartner.
Während in der Schweiz nationalistische Kreise die schottische Unabhängigkeitsbewegung plump in die anti-EU Schublade stecken und die Motive der Schotten als Aufmucken gegen diese taxieren, ist doch die politische Bedeutung des Phänomens vielschichtiger. Die Schotten wollen in der EU verbleiben, sie wollen einen funktionierenden Sozialstaat aufbauen und sie wollen die britische Politik des Neoliberalismus nicht mehr tragen. Diese Fragen sind viel wichtiger als die ewige Gretchenfrage wie man es mit der EU denn so hat. Und es täte gewissen Kreisen in der Schweiz gut, Positionen zu oben genannten gesellschaftspolitischen Themen zu beziehen, anstatt immer wieder die Gefahren von aussen und durch Eliten aufzuzeichnen.