Leinen los! Die Schweiz nimmt Kurs auf die nächste Passage der Bilateralen

Europa

Von Maximilian Stern – Lange genug hat er das Thema vor sich hergeschoben, heute hat der Bundesrat das Mandat für die Verhandlungen mit der EU über die institutionellen Fragen verabschiedet. Mit dem mutigen Entscheid wurden die Grundlagen für eine erfolgreiche Weiterführung des bilateralen Weges geschaffen.

Mindestens seit 2008 liegt das Dossier der institutionellen Fragen auf den Schreibtischen diverser Bundesräte. Die Angelegenheit wurde anfangs als dermassen nebensächlich betrachtet, dass man bei der EU nicht mal genauer nachfragte, worum es den eigentlich ginge. Als man sich endlich dazu durchringen konnte, wurde schnell klar, dass im Volk mit dem Thema nicht sonderlich viel Begeisterung hervorrufen kann: Die institutionellen Fragen sind kompliziert und sie haben irgendetwas mit der EU zu tun, welche hierzulande gerne abwechslungsweise als Ansammlung armseliger Pleitenstaaten oder als zentralistisch-bürokratischer Moloch betrachtet wird.

Und erschwerend kommt hinzu, dass die institutionellen Fragen keine elegante Antworten zulassen. Die geneigten Europarechtler einerseits werden bei jeder valablen Lösung ein Mangel an europäischer Homogenität erkennen, weil in der Schweiz nach wie vor anderes Recht und andere Rechtsprechung herrschen wird, als anderswo in Europa. Währenddessen andererseits die Souveränisten einen Verlust an Eigenständigkeit beklagen werden, weil die EU zumindest ein Teil Spielregeln des Spiels, an dem wir teilnehmen wollen, selbst bestimmen möchten. Jeder Vorschlag kann es nur allen unrecht machen.

Nun konnte sich die Schweizer endlich dazu durchringen, zu tun, was sie eigentlich immer tun sollte: Sie war kreativ, mutig, fordernd, proaktiv und hat wenig, aber gezielt kommuniziert. Die sogenannte Option III, welche in den Gemischten Ausschüssen eine Streitschlichtung durch den Europäischen Gerichtshof vorsieht, ist ein Gebastel – aber es könnte funktionieren.

Die Schweiz behält sich mit dieser Option vor, anders zu Entscheiden als die EU es gerne hätte. Dass das Konsequenzen haben kann, versteht sich von selbst, im Extremfall kann die EU ein Abkommen kündigen. Voraussichtlich wird aber weder die Schweiz noch die EU jemals die Reissleine ziehen. Die Drohung mit der Kündigung von betroffenen Abkommen (eines der Umstrittensten ist die Personenfreizügigkeit), wird von Seiten der EU niemals besonders glaubwürdig sein. Andererseits kann die Schweiz Widersprüchlichkeiten in ihrer Europapolitik nicht länger unter den Tisch kehren: Die Gutachten des EuGH werden konkrete Einschätzungen zu Schweizer Standpunkten vornehmen, aufgrund denen sie sich zwischen Kompromiss und Konfrontation entscheiden muss – anstatt einfach zu schweigen.

Die schwierigste Aufgabe des Bundesrates wird es nun sein, die politischen Akteure hinter sich zu einen. Dazu müssen sie aber davon überzeugt werden, dass die Alternativen zur präsentierten Lösung weniger attraktiv sind. Andocken an den EFTA-Gerichtshof lässt zuwenig Spielraum für Verhandlungslösungen, von der Genesis eines EWR II (oder EWR Plus, oder EWR Light, wie auch immer man das Hoffnung, das europäische Trauma der Schweiz überwinden zu können, nennen will) sind keine Anzeichen zu sehen und weitermachen wie bisher geht nicht (die Stromwirtschaft wartet auf ein Energieabkommen und die Banken erwärmen sich gerade für ein Dienstleistungsabkommen). Das wird keine leichte Aufgabe für Bundesrat Burkhalter (und Staatssekretär Rossier), weil alle drei (oder zwei: Docking- und EWR-Freunde überlappen sich etwas) Lobbies sich gerne und oft zu Wort melden.

Die Schweiz ist gerade auf gutem Weg, ein langfristiges und sicheres Verhältnis zur EU, wie sie es mit den Bilateralen aufgebaut hat, in die Zukunft zu führen. Mit dem vorgeschlagenen Verhandlungsmandat hat der Bundesrat ein seetaugliches institutionelles Vehikel für die Verhandlungen geschaffen. Entscheidend wird nun sein, wie er es während stürmischer Verhandlungen mit materieller Fracht beladen kann: Welche Verträge müssen (ggf. zum Nachteil der Schweiz) dynamisiert werden? Können alle Bereiche der flankierenden Massnahmen weiterhin geschützt werden? Wo sind die roten Linien? Können neue Abkommen zusätzliche Binnenmarktzugänge schaffen? Der Option III ist für die Jungfernfahrt alles gute zu wünschen. Leinen los!

Maximilian Stern, ist ehemaliger Geschäftsführer von foraus – Forum Aussenpolitik und lebt in Zürich. Er hat an den Universitäten Zürich und München Politikwissenschaft, Volkswirtschaft und Europarecht studiert.

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