Brauchen ausländische IT-Unternehmen wirklich «BotschafterInnen» in der Schweiz?

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Das Schweizer Parlament hat Ende September 2020 ein neues Datenschutzgesetz (DSG) erlassen. Dieses sieht vor, dass Verantwortliche einer Datenbearbeitung, die in der Schweiz nicht niedergelassen sind, unter gewissen Umständen eine Vertretung in der Schweiz benennen müssen. Hierbei stellt sich die Frage, ob Unternehmen wirklich physische «BotschafterInnen» in die Schweiz zu entsenden haben oder ob dieser Verpflichtung durch den elektronischen Rechtsverkehr effizienter und unbürokratischer nachgekommen werden könnte.

 

Der digitale Raum birgt für Staaten die Schwierigkeit, ihr nationales Gesetz in internationalen Fällen durchzusetzen: Durch digitale Technologien können Unternehmer Bewohnern eines Landes Dienstleistungen anbieten, ohne selbst in diesem Land niedergelassen zu sein. Aufgrund des Territorialitätsprinzips sind nationale Gesetze grundsätzlich nur innerhalb der eigenen Landesgrenzen anwendbar. 

 

Das Datenschutzrecht der Schweiz wie auch der EU kennt jedoch ausserterritoriale Anwendbarkeit, wenn eine Bearbeitung von personenbezogenen Daten Individuen betrifft, die sich in der Schweiz bzw. in der EU aufhalten. Bekannt ist dies in der Schweiz unter dem Begriff des «Auswirkungsprinzips». Der Leitentscheid des Bundesgerichts dafür ist der Fall «Google Street View» (BGE 138 II 346).

 

Im Rahmen der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) verpflichtet die EU Unternehmen, die nicht in der EU etabliert sind, aber personenbezogene Daten von Personen bearbeiten, «Vertreter» zu benennen. Diese sind dann die Anlaufstelle für «betroffene Personen» oder Aufsichtsbehörden (Art. 27 DSGVO).

 

Das revidierte DSG der Schweiz sieht in den neuen Artikeln 14 (Vertretung) und 15 (Pflichten der Vertretung) vor, dass private Verantwortliche mit Sitz oder Wohnsitz im Ausland eine Vertretung in der Schweiz bezeichnen, wenn sie Personendaten von Personen in der Schweiz bearbeiten und dabei die folgenden Voraussetzungen erfüllen: Die Bearbeitung steht im Zusammenhang mit dem Angebot von Waren und Dienstleistungen oder der Beobachtung des Verhaltens von Personen in der Schweiz, ist umfangreich, regelmässig und birgt ein hohes Risiko für die Persönlichkeit der betroffenen Personen. Die Vertretung dient als Anlaufstelle für die betroffenen Personen und den Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB). 

 

Der Bundesrat hatte diese Regulierung in seinem ursprünglichen Entwurf nicht vorgesehen. Vermutlich entstanden die Artikel 14 und 15 des DSG im Zusammenhang mit der Motion Levrat (16.4082), der Interpellation Marchand-Balet (18.3197), der Motion Glättli (18.3306) sowie der Motion der Kommission für Rechtsfragen des Ständerates (18.3379).

 

Die grundsätzliche Methodik der datenschutzrechtlichen Vertretung ist dabei eine Anlehnung an die Funktion einer «Botschaft» im Sinne einer diplomatischen Vertretung eines Staates am Regierungssitz eines anderen Staates. Eine Lösung also, die zu den Zeiten des Byzantinischen Reichs entstand. Wie der Bundesrat in seinen Stellungnahmen verdeutlicht, lösen «Vertreter» die unterliegende Problematik einer internationalen Rechtsdurchsetzung des Schweizer Rechts jedoch in keiner Weise. Die Vertretung operiert in erster Linie als Zustellungsdomizil. Richtigerweise unterstreicht der Bundesrat, dass weiterhin Lösungen im Rahmen internationaler Kooperationen gesucht werden müssen. Solche konkreten Diskussionen sind im Europarat, in der EU und in anderen multilateralen Foren im Gange. 

 

Statt der Verpflichtung zur Benennung einer Vertretung in der Schweiz, welche aller Voraussicht nach in der Form der Mandatierung einer Anwaltskanzlei oder anderer darauf spezialisierter Treuhand- oder Dienstleistungsunternehmen erfolgen wird, könnte die Schweiz auch eine zentral verwaltete Zertifizierung beim EDÖB vorsehen und eine vollständig virtuelle Vertretung erschaffen. Mit der Infrastruktur des schweizerischen elektronischen Rechtsverkehrs, welche grossmehrheitlich vom Unternehmen PrivaSphere AG gestellt wird, könnten ausländische Unternehmen, welche nach dem DSG eine Vertretung benennen müssen, verpflichtet werden, ein elektronisches Postfach einzurichten, das über eine zentrale Website abgesucht werden kann und eine Abwicklung standardisierter Prozesse des Datenschutzrechts ermöglicht. Das breite Publikum könnte über diesen Weg Auskunftsrechte, Löschbegehren etc. einreichen und beantwortet erhalten. Bundes- und kantonale Behörden, Gerichte und Rechtsanwälte könnten ihre Anfragen, Begehren und Verfügungen über diesen elektronischen Weg dem vertretenen Unternehmen direkt, sicher und mit Zustellungsnachweis zustellen. Die Kosten einer solchen Zertifizierung wären zudem für die betroffenen Unternehmen viel tiefer und die Interaktion wäre standardisiert. 

 

Wenn dereinst die E-ID der Schweiz eingeführt wird, könnte über diese Website ausserdem die Identifikation der Antragsteller vereinfacht werden. Mit dem System der Vertretung müssten sich betroffene Personen mit Ausweiskopien identifizieren, die heute grobschlächtig über ungesicherten E-Mail-Verkehr ausgetauscht werden. 

 

Wie sich während der Pandemie etwa bei der elektronischen Fallmeldung gezeigt hat, sind die Bundesbehörden nicht sonderlich motiviert, digitale Dienstleistungen zu ermöglichen. Die Vorteile einer digitalen Lösung des Zustellungsdomizils wären jedoch mannigfaltig:

 

  • Sie ermöglicht Bundesgesetze auf Unternehmen anzuwenden, die nicht in der Schweiz ansässig sind. 
  • Sie benutzt bereits vorhandene Infrastruktur.
  • Sie senkt die Kosten betroffener Unternehmen.
  • Sie verschafft betroffenen Personen ein sicheres System zur Identifikation und Durchsetzung ihrer Rechte.
  • Die Schweiz profiliert sich auf der internationalen Bühne mit einem innovativen System und bringt damit andere Länder dazu ähnliche Systeme einzurichten, wodurch sich wiederum die Vertretungskosten von Schweizer Unternehmen im Ausland reduzieren lassen.

 

Das grundlegende Interesse des Bundes muss es sein, seine berechtigten Rechtsdurchsetzungsansprüche umzusetzen und den betroffenen Personen in effizienter Weise zu helfen. Es sollte nicht Aufgabe des Bundes sein, über die Vertretungspflicht den tertiären Wirtschaftssektor zu unterstützen und einen bürokratischen Wildwuchs zu generieren, der auf dem elektronischen Weg einfach gelöst werden könnte.

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