Der mazedonische Knoten

Europe

Nach mehr als 25 Jahren Streit scheint sich eine Einigung abzuzeichnen: Aus FYROM soll Nord-Mazedonien werden. Der Konflikt mag von aussen skurril anmuten, ist aber für Griechen und Mazedonier alles andere als banal: Es geht um Fragen der Identität, der nationalen Selbstbestimmung und um das historische Erbe. Für die griechische Regierung kommt die Vereinbarung zu einem günstigen Moment. Ob sie tatsächlich umgesetzt werden kann, ist noch nicht sicher: Nationalisten in beiden Ländern laufen dagegen Sturm.

Wer den als unlösbar geltenden Gordischen Knoten lösen konnte, der würde Herrscher über Asien werden, so die Sage. Alexander der Grosse, König der Makedonen und unbezwungener Feldherr, machte auf seinem Zug nach Persien kurzen Prozess und durchschnitt den Knoten mit einem Schwerthieb – der Weg nach Osten und zu ewigem Ruhm stand ihm so offen.

Gemäss einer anderen, weniger populären Version soll Alexander den Knoten mit einem Kniff gelöst haben. Die antike Sage zeigt auf, dass verzwickte Probleme auf zwei Arten gelöst werden: Entweder durch rohe Kraft, oder durch List.

Zuspruch im Ausland, Widerstand zu Hause

Mit einer Mischung aus Durchsetzungskraft und Schlauheit scheint nun Alexis Tsipras einen Knoten gelöst zu haben, der seit mehr als einem Vierteljahrhundert die griechische Politik umtrieb und viel diplomatisches Kapital beanspruchte. Der griechische Ministerpräsident hat sich damit aussenpolitisch als Pragmatiker und innenpolitisch als gewiefter Stratege bewiesen. Mit der sozialdemokratischen Regierung von Zoran Zaev fand sich auch auf mazedonischer Seite ein Gesprächspartner, der die Lösung des Problems als Priorität einstufte.

Die Opposition wirft dem Ministerpräsidenten einen diplomatischen Alleingang vor, da er zu keinem Zeitpunkt die übrigen Parteien in die Verhandlungen einbinden wollte und die Einigung trotz aller Widerstände durchstierte. Vordergründig stimmt der Vorwurf, wirkt aber angesichts der notorischen Obstruktionspolitik aller relevanten Parteien – allen voran der konservativen Nea Dimokratia – heuchlerisch. So oder so: Tsipras ist damit nun endgültig zur Hassfigur der griechischen Nationalisten avanciert. Und da sich solche im gesamten politischen Spektrum des Landes finden, wird ihm dieser aussenpolitische Sieg bei den nächsten Wahlen durchaus Stimmen kosten.

Positive Entwicklungen für Griechenland

Die Einigung kommt zu einem günstigen Zeitpunkt für die griechische Regierung. Nach den gescheiterten Zypern-Verhandlungen vom letzten Jahr brauchte Syriza einen substanziellen aussenpolitischen Erfolg, um ihr Narrativ aufrechterhalten zu können, wonach Griechenland eine «Säule der Stabilität» in der Region sei. Die griechische Aussenpolitik und Diplomatie hat in den letzten Krisenjahren stark gelitten, scheint sich jedoch langsam zu erholen: Diplomatische Vorstösse im Balkan und eine engere Kooperation mit Ägypten, Israel und Zypern in Sicherheits- und Energiefragen  weisen auf eine aktivere Gestaltung der griechischen Aussenpolitik – natürlich auch mit Blick auf den zunehmend unberechenbarer gewordenen Nachbar Türkei.

Zu den politischen Entwicklungen kommen auch positive Anzeichen aus der Wirtschaft hinzu: Der Tourismus boomt, erneut wird mit einem Rekordjahr gerechnet. Die makroökonomischen Daten stimmen etwas zuversichtlicher, auch wenn Griechenland wirtschaftlich noch lange nicht über den Berg ist. Die Absicht der Regierung, nach dem Abschluss des dritten Hilfsprogramms keine weitere Unterstützung anzufordern, soll signalisieren, dass das Land wieder auf den eigenen Füssen stehen kann. Mit grossen Worten und viel Pathos wurde in Brüssel und Athen das neue Zeitalter eingeläutet. Auch wenn die Griechen in den nächsten zwei Jahren mit neuen Sparrunden und Kürzungen konfrontiert werden: Es wird ein Narrativ aufgebaut, wonach Griechenland die schlimmen Krisenjahre hinter sich gelassen hat und nun frischen Mut schöpfen kann.

«Eine historische Chance und ein diplomatischer Sieg»

Das Momentum scheint sich tatsächlich auf der Seite von Syriza zu befinden. In Stein gemeisselt ist allerdings noch nichts: Die wirtschaftliche Lage bleibt fragil, die Einigung über Nord-Mazedonien hat in beiden Ländern noch erhebliche Hürden zu überwinden. Sowohl Tsipras wie auch Zaef haben jedoch aus dem Ausland bereits viel Lob erhalten: Der EU- und NATO-Beitritt des kleinen Landes sind in erreichbarer Nähe gerückt, zweifellos eine bedeutende Entwicklung für den stark fragmentierten Staat. Damit wird Griechenland seinem eigenen Anspruch, der Integrationsmotor der Region zu sein, ein Stückchen mehr gerecht.

In Zeiten rhetorischer Aufrüstung auf globaler Ebene ist die Einigung zudem auch ein Hoffnungsschimmer von hoher symbolischen Wirkung: Zwischenstaatliche Streitigkeiten können eben durchaus im Dialog gelöst werden, selbst in konfliktträchtigen Regionen wie im Balkan und entgegen nationalistischer Widerstände. Tsipras sprach von einem «diplomatischen Sieg» – ganz gewiss handelt es sich auch um einen Sieg der Diplomatie. Mit der nötigen Dosis an Durchsetzungsvermögen und Intellekt lässt sich jeder Knoten lösen.

Image: Gemälde von Jean-Simon Berthélemy (1743 – 1811) – Wikimedia