Die Burka tragende Frau und wir: Die Verhüllungsinitiative erschafft ihr eigenes Schreckgespenst

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Morgen beginnt die Unterschriftensammlung für die Verhüllungsinitiative und damit gegen die Vollverschleierung von muslimischen Frauen. Die Initiative kreiert mit der Burka tragenden Frau als unterdrückte, notleidende und zu rettende Frau ihr eigenes Zerrbild. Die muslimischen Frauen in der Schweiz sind die grossen Verliererinnen der Initiative.

 

Das Initiativkomitee stampft die Burka tragende Frau der Schweiz aus dem Boden: Sie wurde als Familiennachzug aus dem Nahen Osten hergeholt. Sie ist arm, bildungsfern, wird von ihrem Gatten gewaltvoll unterdrückt und dazu gedrängt, sich zu verschleiern. Kurz: sie lebt in einer nicht selbstgewählten Unfreiheit.

Es gibt vollverschleierte Frauen in der Schweiz, aber die staatspolitische Kommission des Ständerates sieht darin „kein wirkliches Problem“. Grössenteils handelt es sich um Touristinnen vom arabischen Golf oder auch Konvertitinnen des Islamischen Zentralrats der Schweiz, welche (erfolgreich) provozieren. Die Ersten sind Besucherinnen und die Zweiten offensichtlich selbstbestimmte Frauen. Beide Gruppen stehen dem selbsterzeugten Zerrbild der Burka tragenden Frau diametral gegenüber und benötigen die Frauenbefreiungsmission des Initiativkomitees wohl kaum.

Wie eine liberale Gesellschaft Freiheit vorschreibt

Warum also das Bild der Burka tragenden Frau? Eine vollverschleierte Frau dient als Vehikel für Fragen des eigenen Selbstverständnisses. Die Muslima dient als Projektionsfläche; wir definieren das uns, in Abgrenzung zum anderen.

Im Rahmen der Tessiner Verschleierungsinitiative und des EGMR Gerichtsfall S.A.S gegen Frankreichs bezüglich eines Verhüllungsverbot im öffentlichen Raum wurde vom öffentlichen Interessen am gesellschaftlichen Zusammenleben gesprochen.

Es scheint so, als wollten die Initianten uns ein gewisses Aussehen einer freien und liberalen Gesellschaft aufdrücken. Hermès Foulards gehören dazu, islamische Gesichtsschleier aber nicht. Dies ergibt eine äusserst paradoxe Situation. Um frei und offen zu sein, müssen wir verbieten und festschreiben.

Ein Ziel der Initiative sei der Schutz der Frau. Auch ohne die Bemerkung, dass der Wortlaut damit in postkolonial paternalistischer Tradition steht – der rettende Westen –, wird das selbstauferlegte Ziel verfehlt. Zu einem effektiven Schutz gehörten niederschwellige Anlaufstellen, zivilstandunabhängiges Bleiberecht (Änderung des Art. 50 AuG) und ein umfassender Diskriminierungsschutz bei Arbeit und Ausbildung. Im Übrigen, wird eine Frau zum Tragen der Burka genötigt, hält dies schon heute Art. 181 StGB als Strafbestand fest. Ginge es um den Schutz von Übergriffen vermummter Personen bei Grossanlässen ist darauf zu verweisen, dass über 15 Kantone die Unkenntlichmachung des eigenen Gesichtes bei öffentlichen Veranstaltungen als Übertretungsdelikt ahnden und mit Busse oder Haft bestrafen (darunter die Städte BS, BE, ZH und LU).

Die muslimischen Frauen als grosse Verliererinnen

Die Burka tragende Frau der Initiative ist ein Zerrbild der vielen muslimischen Frauen in der Schweiz und wird ihnen als abschreckendes Beispiel vorgehalten, als das andere Ende einer liberalen Gesellschaft. Dort wollen wir also nicht enden! Muslimen und muslimischen Frauen im Besonderen wird einmal mehr verklickert: Ihr gehört nicht zur Schweiz. Sie werden zum Objekt der Ausgrenzung, um das Schweizerische überhaupt erst zu definieren.

Das Initiativkomitee gibt vor, muslimischen Frauen helfen zu wollen. Tatsächlich sind die muslimischen Frauen in der Schweiz die grossen Verliererinnen der Debatte, solche, die ein Kopftuch tragen und die vielen, welche sich selbst als säkular beschreiben. Denn sie alle werden in das Feindbild Burka tragende Frau gedrängt. Vergessen geht, dass wir über reale Frauen mit eigenen Gedanken und Gefühlen sprechen.

Ähnlich verquer wie die Befreiungslogik des Initiativkomitees ist auch die Überfremdungslogik, welche die Schweiz bewahren will, so wie man sie kennt. Die ultrareligiösen Milieus in den Suburbs Grossbritanniens und den französischen Banlieues, sind nicht Ausläufer der pakistanischen oder maghrebinischen Vorstädte. Vielmehr sind sie Produkte einer jahrzehntelangen Pseudo-Integrationspolitik. Statt auf Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit (Schwesterlichkeit) sind die zweiten und dritten Generationen auf elitäre Strukturen und Gentrifizierung gestossen. Den vollverschleierten Frauen der Agglomerationen ist nicht mit einem Verschleierungsverbot geholfen, sondern mit einer Integrationspolitik, die die Versprechen von Chancengleichheit, gesellschaftlicher Teilhabe und sozialer Mobilität zu erfüllen anstrebt.

Mit der Verhüllungsinitiative hingegen wird Identitätspolitik auf Kosten von Musliminnen betrieben. Dabei verkennt das Initiativkomitee die Realität des uns auf Schweizer Territorium und muss erst die Schreckgespenster erzeugen, die es bekämpfen will.