Die Konzernverantwortungsinitiative im Fokus

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Monate vor dem Abstimmungstermin hat die Konzernverantwortungsinitiative (Kovi) bereits eine landesinterne Debatte über Grundlagen, Natur und Modalitäten gesellschaftlicher Verantwortung von schweizerischer Unternehmen im Ausland ausgelöst. Mit einer Blogreihe setzt sich foraus zum Ziel, bis anhin wenig beleuchtete Aspekte der Initiative unter die Lupe zu nehmen.

Im Jahr 2011 verabschiedete der UNO-Menschenrechtsrat die UNO-Leitprinzipien zu Wirtschaft und Menschenrechten. Kurz darauf integrierte der OECD-Rat im Rahmen seiner vierten Revision diese Leitprinzipien in die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen. Entstanden ist damit ein breit anerkannter Referenzrahmen für Staaten, den Umgang mit menschen- und umweltrechtlichen Pflichten privatwirtschaftlicher Unternehmen zu regeln. Die NGO-Allianz «Recht ohne Grenzen» übertrug diese internationalen Entwicklungen in eine landesinterne Debatte, indem sie 2012 die Petition «Klare Regeln für Schweizer Konzerne weltweit» einreichte. Nach lebhaften parlamentarischen Debatten entschied sich der Nationalrat im März 2015 gegen eine Motion seiner außenpolitischen Kommission, welche die unternehmerische Sorgfaltsprüfungspflicht gesetzlich verankern wollte. Die NGO-Allianz rief daraufhin Ende April 2015 die Konzernverantwortungsinitiative ins Leben und reichte sie erfolgreich im Oktober 2016 ein. Die Initiative soll voraussichtlich im April 2019 zur Abstimmung kommen.

Die zwei Bausteine der Initiative: Sorgfaltsprüfung und Sorgfaltshaftung

Die Kovi geht von der folgenden Konstellation aus: Ein multinationaler Konzern mit Sitz, Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung in der Schweiz, beeinträchtigt selbst oder durch von ihm faktisch kontrollierte Unternehmen die Menschenrechte oder die Umwelt in Drittstaaten. Die UNO fordert nun in 31 Leitprinzipien die staatliche Schutzpflicht von Individuen vor menschenrechtlichen Beeinträchtigungen Dritter, eine unternehmerische Respektierungsverantwortung der internationalen Menschenrechte und verschiedene Rechtsschutz- und Wiedergutmachungsmechanismen. Davon ausgehend schlägt die Initiative als erstes eine obligatorische Sorgfaltsprüfung vor. Damit folgt sie einem internationalen Trend, welcher sich in unterschiedlichen Gesetzgebungen weiterer westlicher Staaten niederschlägt. Zu erwähnen ist der britische Mondern Slavery Act 2015, welcher Unternehmen mit einem jährlichen Umsatz von mind. 36 Mio. Pfund dazu verpflichtet, eine Erklärung zu den ergriffenen Maßnahmen gegen Sklaverei und Menschenhandel zu veröffentlichen. Weitere Beispiele sind das verabschiedete französische Loi sur le devoir de vigilance 2017 und das niederländische Child Labour Due Diligence Law, welches noch vom Senat angenommen werden muss. In Anlehnung an das Leitprinzip Nr. 26, welches staatliche, gerichtliche Mechanismen diskutiert, sieht die Initiative einen zivilrechtlichen Haftungsmechanismus bei Verletzungen von Menschenrechten oder internationalen Umweltstandards vor. Unternehmen sollen für den Schaden haften, den durch sie oder durch von ihnen faktisch kontrollierte Unternehmen kausal, widerrechtlich und in Ausübung ihrer geschäftlichen Tätigkeiten entstanden ist. Kann ein betroffenes Unternehmen zeigen, dass es die gebotene Sorgfaltspflicht wahrgenommen hatte, um einen verursachten Schaden zu verhindern, entfällt eine Haftung – sozusagen als Belohnung für die Sorgfaltsprüfung.

Der aktuelle Stand der Dinge

Seit dem Einreichen im Jahr 2016, hat die Initiative zu einer breiten Debatte in den Schweizer Medien geführt. Einige Themen und Grundfragen haben die öffentliche Diskussion der letzten Monate besonders geprägt. Darunter ist beispielsweise die Frage, ob Verantwortung auf Freiwilligkeit oder auf verbindlichen Rechtsnormen beruhen soll. Einige Stimmen vertreten die Meinung, dass Freiwilligkeit ein fruchtbarerer Boden für Fortschritte in verantwortungsvollem Handeln von Konzernen ist als Rechtsnormen. Eine «Verrechtlichung» könnte dazu führen, dass Firmen sich aus Gebieten, in denen mögliche Rechtsrisiken lauern, zurückziehen und diese ohne Investitionen zurücklassen würden. Dagegen argumentieren andere, dass solche marktwirtschaftlichen Überlegungen eben genau beweisen, dass Freiwilligkeit nicht genügt, um gewisse Wirtschaftsakteure dazu zu bewegen, eine nachhaltige menschenrechtliche Sorgfaltsprüfung zu implementieren. Im Gegenteil: Eine verbindliche Rechtsnorm mache eine Verantwortungsübernahme unter Wettbewerbsbedingungen überhaupt erst zumutbar. Ein weiteres Diskussionsthema betrifft die Frage nach dem Sinn schweizerischer Rechtsprechung über Dinge, die im globalen Süden geschehen. Auch die Auswirkungen der Initiative auf den Wirtschaftsstandort Schweiz werden heiss diskutiert. Während die einen befürchten, dass der Standort Schweiz durch eine kostspielige, administrative Pflicht der Regelkonformität leiden würde, halten andere fest, dass die Initiative lediglich internationale Empfehlungen und Leitlinien umsetzt und somit dem internationalen Trend folgt. Manche plädieren darauf, dass Compliance in Zukunft verstärkt als Wettbewerbsvorteil und Teil der Unternehmenskultur wahrgenommen werden sollte. Weitere argumentieren, dass Skandale rund um unverantwortliches Handeln dem Ruf der Schweiz in der internationalen Arena deutlich mehr schaden.

Aufgewühlt durch die Paradise Paper Enthüllungen fordern verschiedene Stimmen aus der Wirtschaft, darunter der Chemie- und Pharmaverband Scienceindustries sowie die Migros, nun von der Politik das Ausarbeiten eines indirekten Gegenvorschlags. Mitte November 2017 hat sich die Rechtskommission des Ständerats dazu entschieden, einen indirekten Gegenvorschlag zur Kovi auszuarbeiten. Die Kommission unterstützt die Idee einer obligatorischen Sorgfaltsprüfungspflicht gemäss UNO-Leitprinzipien und erachtet eine zivilrechtliche oder sogar strafrechtliche Sanktionierung bei Verstössen ebenfalls als unabdingbar. Sie lässt jedoch offen, wie Verbindlichkeit gegenüber nicht «schweren» Verstössen (namentlich nicht Tötung oder schwere Körperverletzung) hergestellt werden sollte. Der Nationalrat wird voraussichtlich am 11. Dezember über einen indirekten Gegenvorschlag beraten.

foraus-Sicht auf wenig beleuchtete Aspekte

In einer Blogreihe widmet sich foraus in den kommenden Monaten dem Thema «Konzernverantwortungsinitiative» aus Blickwinkeln, die über die obengenannten Konfliktlinien, welche den öffentlichen Diskurs dominieren, hinausgehen. Ziel ist es, nüchtern die Konstellationen, um die es bei der Initiative geht ins Zentrum zu stellen. So stellt die Blogreihe konkrete Vergleiche mit Gesetzgebungen anderer Länder her und kontextualisiert die Initiative innerhalb der vorherrschenden internationalen Prinzipien, um realistische Szenarien des Schweizer Standorts im internationalen Vergleich zu erlangen. Ausserdem werden Stimmen Gehör verschafft, die bisher wenig zu Wort gekommen sind, jedoch absolut zentral für den Diskurs dieses Themas sind. Erstens sind dies Stimmen aus dem globalen Süden, lokale Gemeinschaften im Umfeld von Schweizer Konzernen beispielsweise, aber auch lokale NGOs. Zweitens sollen Positionen innerhalb Europa, wie beispielsweise internationale zivilgesellschaftliche Netzwerke oder Rechtshilfeinstitutionen, sowie Schweizer Positionen im Ausland, in Form von internationalen diplomatischen Vertretungen zu Wort kommen. Auf diese Weise bezweckt die foraus Blogreihe anhand von Beiträgen verschiedener Experten bisher weniger prominent diskutierte Aspekte der Kovi zu beleuchten, und somit zu einem differenzierten Diskurs über dieses wichtige Thema beizutragen.