Die Schweiz und die SDGs – Ein Beitrag zu Spillovereffekten und globaler Nachhaltigkeit

Aktuell erarbeitet eine interdepartementale Arbeitsgruppe des Bundesrats die «Strategie Nachhaltige Entwicklung (SNE) 2020-2030», welche die SNE 2016-2019 ablösen wird. Im Gegensatz zu den bisherigen Strategien wird sie nicht auf vier, sondern auf zehn Jahre angelegt sein. Parallel erschienen in jüngster Zeit mehrere wichtige Studien zu nachhaltiger Entwicklung mit Bezug zur Schweiz (Independent Group of Scientists appointed by the Secretary-General, 2019; IPBES, 2019: IPCC, 2019; Sachs et al., 2019). Uns ist es ein Anliegen, dass die Erkenntnisse aus diesen Studien sich auch in der SNE des Bundesrats widerspiegeln.   

Die Studie Sachs et al. (2019) geht dabei explizit auf die einzelnen Länder ein und listet detailliert auf, bei welchen Indikatoren der nachhaltigen Entwicklung die Schweiz wie abschneidet: In vielen Bereichen, insbesondere beim Erreichen der nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) innerhalb der Schweiz, sind in den letzten Jahren Fortschritte zu verzeichnen. Studien zeigen jedoch, dass sich ein Teil der Probleme lediglich verlagert: negative Wirkungen des Handelns der Schweiz sind teils nicht im Inland, sondern im Ausland spürbar, als sogenannte «Spillovers». Und bei den SDGs «responsible consumption and production» (12) und «climate action» (13) steht die Schweiz sowohl was Tätigkeiten im Inland als auch im Ausland angeht schlecht da.

Spillovers bezeichnen in diesem Zusammenhang durch die Handlungen eines Staates ausgelöste Wirkungen, welche über das eigene Staatsgebiet hinausgehen oder «ausgelagert» werden. Es handelt sich um Externalitäten – Kosten und Nutzen, welche sich nicht in Marktpreisen widerspiegeln. Klassische negative Beispiele dafür sind Treibhausgasemissionen, Entwaldung oder die Akzeptanz schlechter Arbeitsbedingungen, welche mit dem Import von Gütern zusammenhängen, sowie mit Steuern oder dem Finanzplatz verbundene Effekte (Schmidt-Traub, Hoff & Benlöhr, 2019). Der Zusammenhang mit dem Handel macht deutlich, dass Spillovers stark mit dem SDG «responsible consumption and production» verknüpft sind. Das Eindämmen von Spillovers ist auch Teil der Massnahmen, die von verschiedenen Forschenden in ihrem im Auftrag der Vereinten Nationen erstellten Weltnachhaltigkeitsbericht empfohlen werden (Independent Group of Scientists appointed by the Secretary-General, 2019).

Dass Wohlstand nicht mit hohen Spillovers einhergehen muss, zeigen im Gegensatz zur Schweiz die skandinavischen Länder, so die Autorinnen und Autoren der Studie. Auch wenn beim Spillover-Ranking von Sachs et al. (2019) methodische Fragen bleiben – so scheint es einen Bias dahingehend zu geben, dass kleine und vom Aussenhandel abhängige Länder per se mehr Spillovers produzieren als grössere und weniger vernetzte Länder –  können die von Sachs et al. (2019) angegebenen Spillover-Indikatoren Hinweise dafür liefern, in welchen Bereichen Verbesserungsbedarf besteht.

Zum Erreichen der nachhaltigen Entwicklungsziele erscheint es uns unabdingbar, dass grosse Volkswirtschaften sich auch mit Spillovers, also indirekt ausserhalb ihres Landes verursachten Nutzen und Schäden, beschäftigen. Ein wesentlicher Aspekt ist dabei die Kohärenz zwischen der Nachhaltigkeits- und Aussenpolitik einerseits und u.a. der Handelspolitik, der Finanzpolitik, den Subventionen und der Landwirtschaft andererseits. So lautet auch eine von Sachs et al. (2019) zum Umgang mit Spillover-Effekten und zum Erreichen der SDGs vorgeschlagene Empfehlung: «Transforming trade systems and value chains for sustainable development». Deutschland und Schweden haben Spillovers bereits in ihren Nachhaltigkeitsstrategien berücksichtigt und halten fest, dass der Wohlstand der eigenen Länder keine negativen Auswirkungen im Ausland haben darf. In welcher Form sich die interdepartementale Arbeitsgruppe des Bundesrats für die Strategie Nachhaltige Entwicklung 2020-2030 mit dem Thema auseinandersetzen wird, bleibt abzuwarten. Eine Option wäre die Erwähnung der Spillovers auf Strategieebene – das dürfte der Thematik ein gewisses Gewicht verleihen und die Kohärenz mit anderen Massnahmen vereinfachen.

Eine interessante Randnotiz ist, dass sich verschiedene Volksinitiativen, die innerhalb der nächsten Jahre in der Schweiz zur Abstimmung kommen, mit Themen beschäftigen, welche direkt auf verschiedene Spillover-Effekte einwirken (z.B. Konzernverantwortungsinitiative, «Korrektur-Initative», «Für sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrung – Keine Subventionen für den Pestizid- und den prophylaktischen Antibiotika-Einsatz», «Biodiversitäts-Initiative»). Auch innenpolitisch gewinnen Spillovers also zunehmend an Relevanz. Umso wichtiger wäre ein Signal des Bundesrats, die Zeichen der Zeit erkannt zu haben: nämlich, dass über punktuelle Verbesserungen hinausgehend systemischer Handlungsbedarf besteht.

Eine programmübergreifende Arbeitsgruppe von foraus wird einen Policy-Brief verfassen, in welchem wir für verschiedene der in den genannten und demnächst veröffentlichten weiteren Studien definierten Schwachstellen der Schweiz beim Erreichen der SDGs, z.B. der Spillover-Effekte, konkrete und praktikable Lösungsvorschläge erarbeiten möchten.

Referenzen

Independent Group of Scientists appointed by the Secretary-General (2019). Global Sustainable Development Report 2019: The Future is Now – Science for Achieving Sustainable Development. New York: United Nations. https://sustainabledevelopment.un.org/gsdr2019

IPBES – Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services (2019). Global Assessment Report on Biodiversity and Ecosystem Services. Bonn.

https://ipbes.net/global-assessment

IPCC – Intergovernmental panel on climate change (2019). Climate Change and Land: an IPCC special report on climate change, desertification, land degradation, sustainable land management, food security, and greenhouse gas fluxes in terrestrial ecosystems. https://www.ipcc.ch/srccl/

Sachs, J., Schmidt-Traub, G., Kroll, C., Lafortune, G., & Fuller, G. (2019). Sustainable Development Report 2019. New York: Bertelsmann Stiftung and Sustainable Development Solutions Network (SDSN). https://www.sdgindex.org/reports/sustainable-development-report-2019/

Schmidt-Traub, G., Hoff, H., & Bernlöhr, M. (2019). International spillovers and the Sustainable Development Goals (SDGs). SDSN Policy Brief. https://irp-cdn.multiscreensite.com/be6d1d56/files/uploaded/SDSN-Policy-Brief_International-spillovers-and-the-SDGs.pdf

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