Freihandelsabkommen EU-USA: Die Schweiz muss vorauseilen, um den Anschluss nicht zu verlieren

Diplomacy & international actors

Von Dominik ElserDie EU und die USA nehmen Verhandlungen für ein Freihandelsabkommen auf, das die Rahmenbedingung des internationalen Handels massgeblich ändern könnte. Will die Schweiz ihre Wettbewerbsfähigkeit erhalten, muss sie sich frühzeitig auf kommende Anpassungen vorbereiten.

Am 13. Februar 2013 haben Präsident Obama, Ratspräsident Van Rompuy und Kommissionspräsident Barroso gemeinsam verkündet, den Empfehlungen einer im November 2011 eingesetzten Arbeitsgruppe zu folgen und Verhandlungen über eine „Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft“ aufzunehmen. Die Bezeichnung „Freihandelsabkommen“ wird dabei vermieden. Über traditionellen, bilateralen Freihandel hinaus werden „global rules“ angestrebt, die den multilateralen Handel prägen sollen. (Nebenher: Diese Ankündigung ist zugleich eine Absage an die WTO-Doha-Runde von höchster Ebene.)

Mit grossem Willen kommen grosse Hoffnungen

Die Motivation für die Aufnahme dieses ambitionierten Vorhabens liegt in nackten Zahlen: 71 Prozent aller Direktinvestitionen in den USA stammen aus Europa, in umgekehrter Richtung sind die USA für 56 Prozent der Investitionen verantwortlich. Auch im Vergleich mit dem aufstrebenden Osten überwiegt der transatlantische Handel; die USA exportieren dreimal so viele Güter nach Europa wie nach China und Europa doppelt so viel in die USA. Die Rechnung ist einfach: ein prozentual geringer Ausbau des EU-US-Handels macht in absoluten Zahlen ein gewaltiges Wachstum aus.

Präsident Obama hat persönlich in diese Verhandlungen investiert, indem er sie in seiner diesjährigen „State of the Union“-Rede erwähnte. Er hat nun fast eine ganze Amtszeit, um aus diesem Vorhaben einen seiner wichtigsten Erfolge zu machen. Der strategisch planende Obama setzt für seine „legacy“ also auf Europa, nachdem er sich zu Beginn seiner Präsidentschaft noch als erster pazifischer Präsident bezeichnete.

Dass die Europäische Union jede Chance ergreift, um aus dem wirtschaftlichen Würgegriff der solidaritätsstrapazierenden Dauerkrise zu entkommen, bedarf keiner weiteren Begründung. Im Unterschied zu den USA würde ein allfälliges Scheitern der Verhandlungen allerdings dem Widerstand einzelner Mitgliedsstaaten angelastet, und nicht der politischen Führung.

Was sich ändern wird: Eingeständnisse „behind the border“

Welche Eingeständnisse müssen die EU und die USA einander machen, damit ein Freihandelsabkommen (unter welcher Bezeichnung auch immer) abgeschlossen werden kann? Die Beseitigung der bereits niedrigen Zölle interessiert wenig. Ausschlaggebend sind die nicht-tarifären Handelshemmnisse, sogenannte „behind the border“-Regulierungen (ab Seite drei in diesem Bericht der EU-US-Arbeitsgruppe). Von den USA wird erwartet, dass sie Wettbewerbsschranken für ausländische Fluggesellschaften abbauen und ausländische Anbieter zu staatlichen Ausschreibungen zulässt. Die EU muss die protektionistische Förderung der eigenen Kulturindustrie (insb. Filmbranche) abbauen und ihre Vorschriften im Agrarsektor lockern (Stichworte gen-modifiziertes Getreide und Hormone in der Fleischproduktion). Gegenseitiges Entgegenkommen ist in der Anerkennung von Patenten, Medikamentenzulassungen, im Schutz von geistigem Eigentum und bei Sicherheitsstandards in der Automobilindustrie zu erwarten.

Der Abbau von „behind the border“-Handelshemmnissen zielt darauf, Produkte günstiger im Zielmarkt anzubieten, weil Kosten für unterschiedliche Test- und Zulassungsverfahren wegfallen und Anpassungskosten schwinden. Wenn also US-amerikanische Anbieter ihre Produkte im europäischen Raum bald günstiger auf den Markt bringen können, erzeugt dies Druck auf die Schweizerische Wirtschaft.

Druck auf die Schweiz – oder: von Cassis de Dijon zu Chassis of Detroit

Ganz abgesehen vom holprigen Sprachspiel: Jede Anpassung der europäischen Rahmenbedingungen betreffend Zulassung von Gütern und Dienstleistungen bedeutet, dass in der EU zugelassene US-Produkte grundsätzlich auch in der Schweiz zulässig sind (einseitige Anwendung des Cassis-de-Dijon-Prinzips). Darüber hinaus würde jeder signifikante Abbau von protektionistischen Massnahmen zwischen ökonomischen Schwergewichten den Druck auf die Weltwirtschaft erhöhen mitzuziehen. Es ist die erklärte Ambition der USA und der EU, einen Standard für weltweite Handelsbeziehungen zu setzen.

Die Schweiz kann sich ein Abseitsstehen nicht leisten. Unsere exportbasierte Wirtschaft muss mit den grössten Abnehmermärkten kompatibel sein. Die Schweiz hat sich dem EU-Binnenmarkt mit zahlreichen Abkommen angeschlossen; die Schweiz wird neue Produktezulassungsvorgaben nachvollziehen müssen, um weiterhin daran teilnehmen zu können. Aber wie soll die Schweiz gegenüber den USA vorgehen?

Aus zwei Gründen empfiehlt es sich nicht, bilaterale Verhandlungen mit den USA anzustreben: erstens besteht die Gefahr von Gegenforderungen; das Steuer- und Bankendossier ist weiterhin offen. Zweitens scheinen die USA jetzt alles auf einen grossen Wurf zu setzen und nicht an kleinen Lösungen interessiert zu sein. Vielversprechender wäre es, im Rahmen der EFTA einen Beitritt zu den Verhandlungen anzustreben oder zumindest Anschluss-Verhandlungen vorzubereiten. Für die USA könnte es überdies interessant sein, gleichzeitig mit EU und EFTA zu verhandeln, um beide Partner gegeneinander auszuspielen.

Dass die Schweiz jetzt aussen vor steht, hat sie sich im Übrigen selbst zuzuschreiben. Vor acht Jahren wurden Explorationsgespräche mit den USA für ein mögliches Freihandelsabkommen aufgenommen, die 2006 von Schweizer Seite abgebrochen wurden. Massgeblicher Grund war der Druck der Bauernlobby, die wohl um die protektionistische Agrarpolitik bangte. Dass der Agrarsektor im EU-US-Dossier ausgespart wird, ist im Übrigen unwahrscheinlich. Aufgrund der bisherigen Abschottung des europäischen Marktes besteht riesiges Wachstumspotential.

Innenpolitische Bereinigungen in jedem Fall unabdingbar

Welche Verhandlungsstrategie auch immer gewählt wird, die Schweiz muss vorausschauen: In für die Schweiz wichtigen Bereichen werden die USA und die EU neue Standards erarbeiten (Dienstleistungsverkehr, geistiges Eigentum, Gentech-Lebensmittel, Medikamentenzulassung etc.). Wenn wir unsere Wirtschaft nicht eigenhändig beschneiden wollen, müssen wir uns notgedrungen an den neuen Vorzeichen ausrichten. Dies ist nicht reaktionäre Kapitulation – dies ist die Realität einer vernetzten Weltwirtschaft. Wenn es den beiden Schwergewichten USA und EU gelingt, innenpolitischen Bremsreflexen zu widerstehen, wäre das eine nachhallende Absage an protektionistische Scheuklappenpolitik.

Ob die Schweiz vorausschauend agieren wird, ist fragwürdig. Die Äusserungen von Bundesrat Schneider-Ammann zu den bevorstehenden EU-US-Verhandlungen stimmen nicht gerade optimistisch: „Sollten sich diese grossen Partner auf ein Freihandelsabkommen einigen, dann müssen wir dafür sorgen, dass unsere Wirtschaft nicht diskriminiert wird. Das habe ich auf amerikanischer Seite wie auch bei der EU deponiert. […] Unser Wunsch wurde gemäss diplomatischen Gepflogenheiten zur Kenntnis genommen.“

Dann ist ja gut.

Dominik Elser ist Jurist und lebt in Bern. Im ersten Halbjahr 2012 absolvierte er ein akademisches Praktikum an der schweizerischen Botschaft in Washington D.C.

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