Helvetischer Rassismus – Von kolonialer Amnesie bis hin zur gegenwärtigen Verharmlosung

Die Schweiz, als geschickte Trittbrettfahrerin des Kolonialismus, nährte in der Vergangenheit, ebenso wie die grossen Kolonialmächte, ein rassistisches Fremdenbild. Heute wird dieses dunkle Kapitel der Geschichte jedoch ungern angesprochen, und wenn doch, oftmals als überwunden erklärt. Eine Problematik, welche gegenwärtige Diskussionen rund um das Thema Diskriminierung in der Schweiz stark blockiert und so strukturelle Vorfälle verschleiert lässt.

Der rassistisch motivierte Mord an George Floyd in den USA löste eine international beispiellose Wutwelle aus. In Städten rund um die Welt gingen Menschen auf die Strasse und teilten auf den sozialen Medien ihre Trauer und Wut. Die erbarmungslose Gräueltat dient auch in der Schweiz als symbolischer Türöffner, um sich tiefgründig mit der Diskriminierung von Schwarzen und People of Color (PoC) im eigenen Land zu befassen. Fest steht: Rassismus ist auch in der Schweiz kein Relikt der Vergangenheit. Doch im Gegensatz zu anderen Ländern scheint sich die Schweiz selten und ungern mit ihrem kolonialen Erbe und der dazugehörenden Rassenideologie auseinander zu setzen. Tatsächlich wird weder in den Schulbüchern, in den Medien, noch in der Politik aktiv über die kolonialen Verflechtungen der Schweiz, die von wirtschaftlicher Ausbeutung, religiösen Missionen bis hin zur Rassenforschung  reichen, gesprochen. Die breite Öffentlichkeit liegt bis heute im Glauben, dass die Schweiz zur Kolonialzeit lediglich eine passive Rolle gespielt hat, und so scheint es, als hätte sich die Schweiz nie an der Konstruktion eines rassistischen Menschenbildes beteiligt. Doch in dieser Annahme liegt auch die grundlegende Problematik der Schweizer Rassismus-Debatte. Denn was vermeintlich nie stattgefunden hat, erfordert auch keine Aufarbeitung. Eine Vermeidungsstrategie, deren Folgen bis in die Gegenwart zu spüren sind. So nährt sich der Rassismus heutzutage vor allem am Schweigen, Kleinreden und Negieren.

Rassismus ist als buntes Kaleidoskop von Erscheinungen zu verstehen. Manche Vorfälle sind deutlich sichtbar, andere verschwommener und weniger klar einzuschätzen. Der letzte Bericht der Schweizer Fachstelle für Rassismusbekämpfung beschreibt, wie jede dritte Person zwischen 2013 und 2018 Diskriminierung aufgrund von Sprache, Hautfarbe oder Nationalität erlebt hat. Ereignisse können von Diskriminierungen bei der Arbeits- und Wohnungssuche oder bei Polizeikontrollen bis hin zu rassistisch motivierten Beleidigungen und Gewalttaten reichen. Während letzteres auf Einzelpersonen zurückgeführt werden kann, veranschaulichen die Diskriminierung auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt sowie erhöhte Polizeikontrollen gegen Schwarze und PoC den strukturellen Rassismus. Es ist dieses strukturelle «othering», die Ausgrenzung und Zuschreibung von Minderwertigkeit, welche Diskriminierungsformen stark prägt. Schwarze und PoC werden auch in der Schweiz häufig mit Eigenschaften wie «fremd», «primitiv» oder «bedrohlich» assoziiert. Dies veranschaulichen alleine schon Kinderspiele wie «De schwarzi Peter» oder «Wer het Angst vom schwarze Mah?». Alltagsrassismus ist das Endergebnis eines strukturellen Konzeptes, welches in der gesellschaftlichen Mitte stattfindet. Es handelt sich hierbei nicht um Einzelfälle oder schlechte Äpfel, denn Rassismus findet nie im Vakuum statt. Vielmehr weist es auf ein internalisiertes Denkmuster hin, das tief im postkolonialen Gedächtnis der Gesellschaft verankert ist. Bedauerlicherweise werden Menschen, die auf Diskriminierung hinweisen, oftmals als emotional und überdramatisch empfunden. Gleichzeitig werden Rassismusvorwürfe und Fehltritte oft hartnäckig vereint. Die Banalisierung des Phänomens sowie die vehementen Abwehrmechanismen erschweren zweifelsohne die Veränderung des Status quo. Wie sieht also eine nachhaltige Lösung der Problematik, auch nach der Abschwächung der digitalen Solidaritätswelle, aus? Hier einige Lösungsansätze:

  • Informierter Dialog: Als erstes muss ein informierter Dialog stattfinden – nicht über, sondern mit Schwarzen und PoC. Die Gesellschaft sollte sich bewusst mit der kolonialen Vergangenheit der Schweiz auseinandersetzen, um ein erweitertes Verständnis für gegenwärtige Diskriminierungsformen zu erhalten. Zugleich sollte den unterschiedlichen Meinungen und Erfahrungen von Betroffenen mehr Gehör verschafft werden, da es sich, wie bei allen Minderheiten, nie um eine homogene Gruppe mit einer einheitlichen Stimme handelt. Die folgenden Seiten bieten eine erste Anlaufstelle, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen:
  • Selbstreflektion: Ein rassistisches System wird von uns allen getragen, und somit ist die Hinterfragung der eigenen Handlungen erforderlich, um das rassistische Gedankengut zu dekonstruieren. Was trage ich zu der aktuellen Situation bei? Wo hätte ich mehr Zivilcourage zeigen müssen? Wann bin ich selber zum Täter oder zur Täterin geworden?
  • Diversität: Rund 40 Prozent der Schweizer Bevölkerung hat einen Migrationshintergrund. Diese Realität ist jedoch selten in der Politik oder in den Medien abgebildet. Folglich braucht es mehr Repräsentation in den Medien und in der Politik, die über die Erreichung einer Quote und stereotypische Klischees hinaus reichen.

Letztendlich ist es wichtig, zu verstehen, dass die Aufhebung eines solch eingebetteten Konzeptes keineswegs von einem Tag auf den anderen erfolgt. Jede und jeder ist gefragt, Farbe zu bekennen, um das Problem des Rassismus in unserer Gesellschaft sichtbar zu machen, anstatt es zu ersticken.

 

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