Sklaverei im 21. Jahrhundert?! Von Knechtschaft, KOVI und Konzernen

In wenigen Tagen ist es soweit: nach Monaten und Jahren zahlreicher Debatten und öffentlicher Diskussionen des Für und Wider, wird nun endlich am 29. November 2020 die Konzernverantwortungsinitiative (KOVI) dem eidgenössischen Stimmvolk zur Abstimmung vorgelegt. Wie ein JA! zur Schweizer Initiative auch zu einem Nein! zum immer noch anhaltenden Phänomen der globalen Sklaverei beitragen würde, wird im vorliegenden Blogbeitrag beleuchtet.

 

Schauen wir uns zu Beginn das Phänomen der modernen Sklaverei genauer an. 

Im Rahmen der Black Lives Matter-Bewegung wurden in letzter Zeit vermehrt Artikel zur helvetischen Sklavenhalter-Vergangenheit publiziert und damit aufgezeigt, wie hiesige Unternehmerfamilien jahrhundertelang, sogar bis ins 19. Jahrhundert hinein, von Menschenhandel mit dem Ziel der Knechtschaft profitierten. 

 

Dies ist einer jener Artikel, die sich mit Traurigkeit, Entsetzen und Scham lesen. Doch das wahrhaft Beschämende ist, dass Sklaverei kein ausschliessliches Phänomen der Historie ist, auf das wir mit der Gewissheit zurückblicken können, dass es der Vergangenheit angehört. Sklaverei überdauert jegliche nationalen und internationalen institutionellen Bemühungen der Eindämmung – vom eidgenössischen Sklavereiabkommen von 1926 zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) der Vereinten Nationen bis hin zur Agenda 2030, in der das achte Sustainable Development Goal (SDG) die Forderung nach menschenwürdiger Arbeit für alle impliziert. Nicht nur scheint heutige Leibeigenschaft sich dem rechtlichen Regelwerk zu entziehen – moderne Sklaverei ist verbreiteter denn je.

Diese traurige Realität geht aus dem Global Slavery Index hervor. Über 40 Millionen Menschen weltweit leben laut diesem Index unter sklavenähnlichen Bedingungen. Auf Schweizer Territorium sind es über 14’000 – Zahlen die wegen der hohen Dunkelziffer um einiges höher liegen dürften. Aufgrund ihrer Bemühungen bei der Bekämpfung heutiger Leibeigenschaft erhält die Schweiz die zweitbeste Bewertung weltweit. Dass das aber keine mit der Schulnote ‘gut’ gleichzusetzende Beurteilung sein sollte, auf der man sich zufrieden ausruhen kann, ist angesichts der Schwere des Sachverhaltes hoffentlich offensichtlich. 

 

Moderne Sklaverei kann ganz verschiedene Formen annehmen: sei es die Ausbeutung der Arbeitskraft im privaten Sektor – die Mehrheit davon Opfer der Schuldknechtschaft (bei der ein Abhängigkeitsverhältnis dadurch entsteht, dass als Sicherheit für einen Kredit die eigene Arbeitskraft verpfändet wird) -, Menschenhandel zum Zweck der Zwangsprostitution, Kinderarbeit, Zwangsheirat oder die Rekrutierung von Kindersoldaten in Kriegsgebieten. 

Auf Schweizer Territorium sind es vor allem Zwangsprostitution und -arbeit im Bausektor, in Hotel- und Gastronomiebetrieben, in der Landwirtschaft und in privaten Haushalten. Opfer sind vor allem Frauen und Minderjährige, häufig auf der Suche nach Asyl. Die erwähnte hohe Dunkelziffer ist auch auf die mühevolle Identifikation von Opfern zurückzuführen. Oft haben diese Angst vor eventuellen Konsequenzen, misstrauen den öffentlichen Behörden, fürchten sich vor der Abschiebung in ihr Heimatland und sind finanziell und emotional von ihren Peinigern abhängig. 

 

Entscheidend ist aber nicht ausschliesslich, was auf nationalem Territorium geschieht, sondern auch, was sich ausserhalb des Staatsgebietes im Auftrag Schweizer Unternehmen abspielt. Als Sitz zahlreicher Konzerne – Namen mit weltweitem Ruf – muss die Schweiz gegenüber der Achtung des vierten Artikels der AEMR Verantwortung tragen: dem Verbot von Zwangsarbeit und Sklaverei. Doch in den vergangenen Jahren kamen immer wieder Skandale rund um Schweizer Konzerne ans Licht. 

So wird von «Crevetten-Sklaven» in Thailand gesprochen, die Shrimps produzieren, welche unter anderem bei der Migros und Aldi Suisse im Sortiment landen. In Indien wurden Babys als Versuchskaninchen für Novartis- und Roche-Medikamente missbraucht, der Konzern Glencore steht immer wieder wegen menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen am Pranger und Nestlé wird seit Jahren der Zwangsarbeit von Minderjährigen bezichtigt.

Jüngst wurde nachgewiesen, dass Kinderarbeit im Kakaosektor sogar zugenommen hat und Nestlé damit ihrer Beteuerung der Eindämmung nicht nachkam. Und genau hier kommt die KOVI ins Spiel. Im Falle einer Annahme der Initiative würden jene Unternehmen für eventuelle Verletzungen von Menschenrechten und Umweltstandards rechtlich büssen und justizfreie Zonen im Ausland nicht mehr für ökonomische Zwecke ausgenutzt werden können. Zuletzt wären Unternehmen zur präventiven Aufdeckung möglicher Risiken und dem Ergreifen entsprechender Massnahmen im Rahmen sogenannter Sorgfaltsprüfungen verpflichtet.     

 

Ich sehe eine doppelte Verantwortung der Schweiz im Einsatz für die endgültige Abschaffung der Sklaverei: Die erste rührt aus der Vergangenheit und ist eine, die nicht nur die Schweiz, sondern wohl den Grossteil westlicher Nationen betrifft, und eng mit der europäischen Kolonialgeschichte verknüpft ist. Die zweite betrifft das Faktum der Schweiz als Standort global agierender Konzerne mit Produktionsstätten im globalen Süden und Osten.

Und immer, in der Vergangenheit wie auch heutzutage, geht es um unseren konsumorientierten Lebensstil, der die Sklaverei innerhalb und ausserhalb territorialer Grenzen fördert – individuell berechenbar mithilfe des Slavery Footprint. Denn zur Verantwortung der Schweiz als Nation kommt die Verantwortung jeder und jedes Einzelnen hinzu, indem wir zum einen auf unser eigenes Konsumverhalten achten und uns zum anderen auf politischer Ebene für entsprechende Massnahmen zur Eindämmung dieses Unrechts starkmachen. Ein JA! zur KOVI wäre dabei ein Schritt in die richtige Richtung.

 

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