Vom Professor zum Premier: Davutoglus Aufstieg ins Zenturm der türkischen Macht

Diplomacy & international actors

Nach Erdogans Wahl zum Präsidenten der Türkei, rückt mit Ahmet Davutoglu der türkische Aussenminister ins Amt des Premierministers nach. Ahmet Davutoglu gilt als der Chefideologe der türkischen Aussenpolitik der letzten zwölf Jahre. Sein Leistungsausweis diesbezüglich ist schwach – seine Ernennung hat denn auch einen anderen Grund.

 

Was hätte Ahmet Davutoglu wohl geantwortet, hätte man ihn vor 20 Jahren gefragt ob er es für möglich halte, später einmal Regierungschef zu werden? Damals war Davutoglu Professor für Internationale Beziehungen an der Beykent Universität in Istanbul. Seither hat er einen beispiellosen Aufstieg hinter sich: 2002 wurde er Sonderbotschafter und Chef-Berater von Premierminister Erdogan, 2009 kam die Beförderung zum Aussenminister und am 21. August gab der amtierende Premierminister und designierte Präsident der Türkei, Recep Tayyip Erdogan, bekannt, dass Ahmet Davutoglu seine Nachfolge übernehmen soll. Gleichzeitig wurde er auch zum Vorsitzenden der Regierungspartei, der Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP), gewählt.

Ein Professor im Aussenministerium

Soweit die News. Doch das interessante an diesen ist vor allem der Werdegang des neuen Premierministers: Ahmet Davutoglu ist ursprünglich kein Politiker, sondern Politologie-Professor. Sein Einfluss auf die aussenpolitische Strategie der Regierung Erdogans entstammt denn auch seiner akademischen Schriften: Die Doktrin der türkischen Aussenpolitik seit 2002 basiert grösstenteils auf dem im Jahr 2001 von Davutoglu publizierten Werk „Strategische Tiefe: die internationale Position der Türkei.“ Darin kritisiert er die traditionell stark nach Westen ausgerichtete türkische Aussenpolitik inklusive der Nato-Mitgliedschaft seit 1953 als unzureichend. Stattdessen solle sich die Türkei auf ihre „historische und geographische Tiefe“ besinnen, was so viel heisst wie: Die Türkei verfügt dank ihrer Geschichte als Kern des osmanischen Reiches über weitreichende Beziehungen mit Regionen und Ländern des ehemaligen Reiches sowie über eine strategisch bedeutende geographische Lage. Somit könne die Türkei das Erbe des osmanischen Reiches weitertragen und sich als Regionalmacht etablieren.

Davutoglu, der Professor, wurde trotz mieser Bilanz vom Aussen- zum Premierminister. (Quelle: Wikimedia Commons, Nevit Dilmen, Lizenz)

Aus der These Davutoglus ergibt sich die politische Devise, dass sich die Türkei verstärkt für die Angelegenheiten in der Region interessieren solle. In einem Grundsatzpapier im Jahr 2007 beschrieb Ahmet Davutoglu die grundlegenden Prinzipien der türkischen Aussenpolitik. Einen besonderen Stellenwert in den diplomatischen Bemühungen genoss das Motto der „Null Probleme mit Nachbarn“-Politik sowie die verstärkte Ausrichtung der Aussenpolitik auf die Nachbarsregionen. Im Zentrum standen dabei der Aufbau von freundschaftlichen Beziehungen zu allen Nachbarstaaten sowie die Bereinigung historischer Konflikte.

Aussenpolitisch hat er versagt

Betrachtet man die Lage in der Türkei und ihren Nachbarregionen, wird schnell klar: Davutoglus aussenpolitische Strategie ist gescheitert. Die Aussöhnung mit Armenien und die Etablierung diplomatischer Beziehungen – auf welche sich die beiden Länder in einem von der Schweiz vermittelten und 2009 in Zürich unterschriebenem Abkommen geeinigt hatten – fand immer noch nicht statt; der Nachbar Syrien versinkt seit über drei Jahren im Bürgerkrieg;  Abgesehen von der Aufnahme hunderttausender Flüchtlinge blieb es der Türkei trotz Unterstützung der syrischen Rebellengruppen verwehrt, den Sturz der Regierung Assad herbeizuführen. Zu lange wurde hingegen ignoriert, dass sich im Chaos des Bürgerkrieges die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) in Syrien und im Irak verbreiten konnte. Im Irak wurde im Juni das türkische Konsulat von ebendieser Terrorguppe angegriffen und knapp 50 türkische Staatsangehörige als Geiseln genommen. Zudem steht Ankara in einem schlechten Verhältnis zu Bagdad, da die Türkei enge Beziehungen mit der kurdischen Lokalregierung aufgebaut hat und mit dieser regen Handel treibt. So fliessen bis zu 100‘000 Fass Öl täglich durch eine Öl-Pipeline direkt vom irakischen Kurdengebiet in die Türkei. Vergessen scheinen die Zeiten, in denen die Türkei Stellungen der kurdischen PKK im Nordirak bombardierte.

Auch in Ägypten hatte die Türkei mit ihrer Aussenpolitik wenig Erfolg. Die von ihr unterstützte Regierung unter Führung der Muslimbrüder und Präsident Mohammed Mursi konnte sich nicht an der Macht halten. Mitunter wohl auch, da sie den türkischen Ratschlag, eine säkulare Verfassung auszuarbeiten, ignorierte. Im anhaltenden israelisch-palästinensischen Konflikt vermochte es die Türkei nicht, die Rolle des Vermittlers einzunehmen. Im Gegenteil: Die Türkei bezog klar Stellung zugunsten der Palästinenser und unterstützt die im Gazastreifen regierende Hamas.Weder in Israel, Syrien noch Ägypten hat die Türkei momentan einen Botschafter stationiert. Das zeugt weder von besonders gutnachbarschaftlichen Beziehungen noch von Einfluss.

Auch eine Chance

Warum wurde Davutoglu also zum neuen Premierminister der Türkei erkoren? Die Antwort könnte eine simple sein: Seine unbedingte Loyalität zu Erdogan. In dessen Rede im Anschluss an das Treffen der AKP-Führung in Ankara am 21. August, in welchem der Entscheid zugunsten von Davutoglu gefällt wurde, betonte Erdogan denn auch nicht die aussenpolitischen Leistungen seines Nachfolgers, sondern dessen Einsatz im Kampf gegen den sogenannten Parallelstaat und die Gülen-Bewegung, mit der Erdogan auf Kriegsfuss steht.

Die Türkei macht momentan mehr wegen innenpolitischer Probleme – Gezi-Park Unruhen, Korruptionsskandale, Erdogans Kampf gegen die Justiz – auf sich aufmerksam, anstatt auf dem internationalen Parkett zu glänzen. Das Tandem Erdogan-Davutoglu wird sich denn auch in erster Linie diesen Problemen widmen. Für Davutoglu ist dies eine Chance sich als Premierminister ein neues Gesicht zu geben. Für die Türkei bietet diese Konstellation ebenfalls eine neue Chance – und zwar für eine Neuausrichtung der türkischen Aussenpolitik.