Der Bundesrat schmeisst das RASA-Handtuch: Jetzt müssen die Parteien vier Jahre Stillstand aufwischen.

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Der Bundesrat hat sich entschieden, keinen Gegenvorschlag zur RASA-Initiative vorzulegen. Damit missdeutet er den Ausgang der Vernehmlassung, in der sich alle Parteien positiv zu einem Gegenvorschlag geäussert haben. Jetzt ist das Parlament in der Pflicht – sowohl inhaltlich als auch staatspolitisch.

An der Pressekonferenz vom Mittwoch begründete Bundesrätin Sommaruga den Verzicht auf einen Gegenvorschlag zu RASA (Raus aus der Sackgasse) wie folgt: “Er tut dies aufgrund überwiegend negativer Rückmeldungen von Parteien, Verbänden und Kantonen in der Vernehmlassung zu den Vorschlägen für einen direkten Gegenentwurf zur Initiative.”[1] Das stimmt aber nur teilweise. Denn die Parteien – mit einer Ausnahme – haben sich grundsätzlich positiv gegenüber einem Gegenvorschlag geäussert. Nur von den Varianten des Bundesrates waren sie allesamt nicht überzeugt.

  • FDP: “Die FDP begrüsst grundsätzlich, dass der Bundesrat der RASA-Initiative einen direkten Gegenvorschlag gegenüberstellen will, sieht aber noch Verbesserungspotenzial bei der materiellen Ausgestaltung des definitiven Gegenentwurfs.” 
  • EVP: “Die EVP hat deshalb für Variante 2 mehr Sympathien als für Variante 1 und steigt so in die Diskussionen im Parlament ein.”
  • CVP: “Die CVP wird sich konstruktiv an einer Diskussion über einen möglichen Gegenvorschlag beteiligen, unter der Voraussetzung, dass ein allfälliger Gegenvorschlag einen effektiven juristischen wie auch politischen Mehrwert bringt.”
  • BDP: “Die Umsetzungsgesetzgebung zur MEI mittels Inländervorrang stellt den ersten Schritt dar, dem weitere folgen müssen. Aus diesem Grund hat die BDP vom Bundesrat einen sinnvollen Gegenentwurf zur RASA-Initiative verlangt.” 
  • glp: “Die Grünliberalen unterstützen einen Gegenvorschlag, der zu einer Klärung des Verhältnisses zwischen den bilateralen Verträgen und der MEI führt.”
  • Grüne: “Le contre-projet à RASA doit donc être un contre-projet solide, permettre un vote clair de la population et renforcer les mesures d’accompagnement – or pour les Verts, aucune des deux variantes ne satisfait ces conditions.”
  • SP: “Die SP will einen RASA-Gegenvorschlag, der die guten Beziehungen zu Europa festigt und fortentwickelt.”

    Q
    uelle: https://www.admin.ch/ch/d/gg/pc/documents/2832/Steuerung-der-Zuwanderung_Stellungnahmen-Parteien.pdf

Es gibt andere – taktische – Gründe, nun keinen (angepassten) Gegenvorschlag vorzulegen. Mit Ausblick auf die kommenden europapolitischen Vorlagen (die Selbstbestimmungsinitiative, allenfalls einer Kündigungsinitiative zum Freizügigkeitsabkommen, irgendwann das Rahmenabkommen, und eventuell mit dem Referendum zum Waffenrecht auch Schengen) will man die Kräfte bündeln. Eine Abstimmung über einen Gegenvorschlag bräuchte das Ständemehr, und es ist wohl korrekt zu behaupten, dass das Stimmvolk zuletzt nicht vor europapolitischer Euphorie sprudelte.

Und gleichzeitig – so die gängige Argumentation – gäbe es kaum etwas zu gewinnen: Ein Ja zum Gegenvorschlag brächte nicht mehr als den Inländervorrang light, der bereits vorliegt. Ein Nein hingegen könnte selbst diese Minimallösung in Frage stellen. Ein Hochrisikospiel also?

So einfach ist es nicht. Einfach alles beim Alten zu lassen, birgt sowohl inhaltliche als auch politische Gefahren:

Inhaltlich: Mit dem aktuellen Artikel 121a wäre ein neues Abkommen über die Freizügigkeit von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit dem Vereinigten Königreich nach dessen Ausscheiden aus der EU schwierig. Sollte die Freizügigkeit zum Brexit-Programm gehören, wäre dies ein riesiger Nachteil für die Schweiz. Weiter wird die unbefriedigende Kontingentpolitik gegenüber Drittstaaten auf lange Frist zementiert. Den Wechsel zu einem effizienteren Zuwanderungsmodell für Drittstaaten erlaubt die Verfassung mit Artikel 121a nicht. Zudem birgt der offene Widerspruch zwischen Verfassung, Freizügigkeitsabkommen und Umsetzung ewigen Zunder für politische Waldbrände, welche die bilateralen Beziehungen mit der EU in Staub und Asche zerlegen könnten.

Politisch: Die Taktiererei schadet dem Vertrauen der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger in die Politik. Die MEI wurde nur notdürftig umgesetzt. Sie wird keinen nennenswerten Einfluss auf die Zuwanderungszahlen haben. Vermutlich ist eine Mehrheit damit einverstanden. Aber in einer direkten Demokratie reicht diese Vermutung nicht. Bundesrat, Parlament und Verbände müssen proaktiv erklären, rechtfertigen und kommunizieren – kurz: die Führungsrolle übernehmen, die ihnen zugedacht ist. Und dann muss das Stimmvolk die Gelegenheit haben, sich dazu zu äussern[2] – sonst wird es das bei der nächsten europapolitischen Abstimmung tun. Und die Annahme der Selbstbestimmungsinitiative ist auf jeden Fall gefährlicher als die Ablehnung des Gegenvorschlags zu RASA.

Schliesslich sollte man nicht vergessen, dass 49.7% der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger Nein zur MEI gesagt haben. Aller Logik nach müssten sie nun einen Gegenvorschlag zu RASA unterstützen. Und: Man kann mit Europa durchaus auch Abstimmungen gewinnen, wie kürzlich die ZEIT Schweiz aufzeigte. Die Parteien sollten daher zu ihren Versprechen aus der Vernehmlassung stehen und im Parlament Weitsicht zeigen. Einen Gegenvorschlag zu RASA kann man gewinnen. National- und Ständerat können jetzt das Handtuch aufnehmen und damit anfangen, vier Jahre Stillstand wegzuwischen.

 

[1] https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-66496.html

[2] Das verpasste Referendum gegen die MEI-Umsetzung als solche Gelegenheit zu bezeichnen ist beinahe zynisch. Diese staatspolitische Aufgabe kann nicht an Einzelpersonen ohne Unterstützung von Parteien oder Verbänden delegiert werden.