Die Schweiz tanzt auf zwei Hochzeiten: Wird 2011 die Doha-Runde fallengelassen?

Place financière

Von Dominique Ursprung – Das Schweizer Volkswirtschaftsdepartement steckt im Dilemma: Das immer dichtere Netz von bilateralen Freihandelsabkommen gefährdet den angestrebten Abschluss der Doha-Runde.

Am diesjährigen World Economic Forum (WEF) in Davos konnte Bundesrat Johann Schneider-Ammann den offiziellen Start zu bilateralen Freihandelsverhandlungen mit der Volksrepublik China, dem wichtigsten Handelspartner der Schweiz in Asien, verkünden. Es ist dies der vorläufige Höhepunkt der Schweizer Strategie mit dem Ziel, ein dichtes Netz von Präferenzabkommen aufzubauen. Die bilateralen (z.B. mit Japan) wie auch die plurilateralen Abkommen im Rahmen der European Free Trade Association EFTA (z.B. mit Südkorea), erlauben es, Partikulärinteressen zu schützen. Sie sind eine Art Rosinenpicken bei der Liberalisierung des Welthandels. Dieser Weg hat sich bisher bewährt: In den letzten 10 Jahren hat sich die Zahl solcher Abkommen von 9 auf 24 erhöht – weitere 10 sind in Verhandlung und könnten bald dazukommen.

Einen Tag nach den Feierlichkeiten mit dem „Reich der Mitte“ lud derselbe Bundesrat 24 Minister zu einem Davoser „Mini-WTO-Gipfel“ ein, um das Schweizer Engagement für die multilaterale Liberalisierung des Welthandels im Rahmen der WTO Doha-Runde zu unterstreichen. Somit wurde einmal mehr der sich verstärkende Widerspruch in der Handelspolitik aufgezeigt: Trotz dem öffentlichen Bekenntnis zur multilateralen Handelsliberalisierung wird gleichzeitig ein immer dichteres Netz von bilateralen und plurilateralen Freihandelsabkommen geknüpft.

Risiken der Schweizer Doppelstrategie

Das Jahr 2011 wird aufzeigen, wieviel der Bundesrat mit dieser Doppelstrategie riskiert hat. Fakt ist: Wegen den Präsidentschaftswahlen in den USA 2012 müsste ein Abschluss der WTO Doha-Runde noch 2011 über die Bühne gebracht werden. Dies ist die letzte Chance – das Wettrennen um Freihandelsabkommen läuft zu schnell, als dass es auch 2013 noch genug Druck auf die Hauptakteure bei der WTO für eine multilaterale Einigung gäbe. Zudem entwickeln sich immer konkreter Alternativen wie z.B. ein Europa-Ost Asien Handelsabkommen. Die beiden Verlierer stehen jetzt schon fest: Einerseits sind es die von den Schweizer bilateralen Freihandelsabkommen ausgeschlossenen ärmeren Entwicklungsländer – sie fallen durch die Maschen des Freihandelsnetzes. Andererseits ist es das multilaterale Handelssystem und das Regelwerkes der WTO. Beide werden geschwächt oder ganz in Frage gestellt.

Will die Schweiz nun an ihrer Doppelstrategie festhalten, verliert das Vorgehen an Kohärenz: Wie werden die personellen Ressourcen aufgeteilt zwischen den Freihandelsverhandlungen mit der aufstrebenden Wirtschaftsmacht China (Ziel: Abschluss in 2 Jahren) und den entscheidenden Verhandlungen dieses Jahr bei der WTO?

Und wie will die Schweiz China im Kontext der WTO von der Wichtigkeit des multilateralen Weges überzeugen? Es ist unbestritten, dass ein zentrales Element für den Erfolg der Doha-Runde ist – wie die Neuen Zürich Zeitung schrieb – ob China (neben Indien und Brasilien) zum Schluss kommt, „dass ein umfassendes multilaterales Freihandelsregime dem Bilateralismus vorzuziehen ist.”

Konzessionen machen und Verantwortung übernehmen

Der am WEF 2011 veröffentlichte Zwischenbericht der von Deutschland, Grossbritannien, Indonesien und der Türkei geschaffenen High Level Trade Experts Group (unter dem Vorsitz von Jagdish Bhagwati und Peter Sutherland) erwähnte die Schweiz explizit: Sie werde den Agrarbereich öffnen müssen und zwar ohne auf vergleichbare Gegenleistungen von Seiten der Entwicklungsländer zählen zu können. Ist die Schweiz bereit, ein solches asymmetrisches Ergebnis der Doha Runde zu akzeptieren? Die Unterstützung für die parlamentarische Initiative und die Motion von Rudolf Joder (svp), die einen Abbruch der Verhandlungen zur Agrarmarktliberalisierung mit der EU verlangen, lassen das Gegenteil vermuten: Mit der vom Mythos der Autarkie genährten Schweizer Landwirtschaft wird Stimmung gemacht gegen den Freihandel – mit der EU wie auch im Rahmen der WTO.

Wie ernst es die Schweiz am WEF mit dem „Mini-WTO-Gipfel“ meinte, wird sich um Ostern 2011 ein erstes Mal zeigen. Bis im April 2011 sollte der Entwurf der Verhandlungstexte stehen und bis im Juli 2011 eine Einigung über das Verhandlungspaket der Doha-Runde erreicht sein, so die Forderung von Bundesrat Schneider-Ammann. Es bleibt zu hoffen, dass die Schweiz im chinesischen Jahr des Hasen nicht nur als schneller Läufer für bilaterale Freihandelsabkommen wahrgenommen wird, sondern sich auch in Genf bei der WTO nicht vor der Verantwortung drückt.

Dominique Ursprung lebt in Zürich und hat am Genfer Hochschulinstitut für Internationale Studien und Entwicklung (IHEID) Internationale Beziehungen studiert. Er engagiert sich bei foraus in der Arbeitsgruppe Wirtschaft und Finanzplatz.

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