MEI und Schutzklausel: Die Nebeneffekte

Migration

Die Masseneinwanderungs-Initiative und die Personenfreizügigkeit sind unvereinbar. Das wissen mittlerweile alle. Der Strohhalm, an den sich die Hoffnungen auf ein Entgegenkommen der Europäischen Union klammern, ist eine mögliche Schutzklausel. Doch eigentlich sollten wir auch wissen, dass diese, selbst wenn sie politisch realistisch wäre, das Ziel einer Zuwanderungsreduktion verfehlen würde.

Eine „zweifache Standardabweichung vom Mittelwert“ soll als Schwellenwert dienen, ab welchem Zuwanderung über Kontingente begrenzt werden kann. Diese bewusst technische Formel einer Schutzklausel zur Migrationssteuerungstammt vom ehemaligen Schweizer Spitzendiplomaten und jetzigen ETH-Professor Michael Ambühl. Weitere Parameter wie beispielsweise Arbeitslosigkeit könnten in die Formel integriert werden, welche gemäss ihrem Erfinder von der EU akzeptiert werden könne, weil sie auf alle EU-Mitgliedstaaten angewendet werden soll und damit keine Ausnahmeregel für die Schweiz darstellt. Die grundsätzliche Idee von Schutz- oder Ventilklauseln ist es, in begründeten, aussergewöhnlichen Umständen ein Instrument in der Hand zu haben, um die Zuwanderung vorübergehend zu begrenzen. Dadurch kann argumentiert werden, dass das Grundprinzip der Personenfreizügigkeit unangetastet bleibt und Einschränkungen nur unter spezifischen Bedingungen zulässig sind. Ist die Schutzklausel also das goldene Ei?

Migrationshürden mit Nebeneffekten

Die politischen Reaktionen auf den Vorschlag fielen erstaunlich positiv aus, viele halten den Vorschlag für eine elegante Lösung wie das Dilemma der MEI-Umsetzung eventuell doch gelöst werden könne. Dabei hat die Schweiz bereits Erfahrung mit diesem Instrument der Migrationssteuerung, welche zeigen, dass eine solche Klausel gänzlich ungeeignet ist, Zuwanderung zu begrenzen. Grund dafür sind nicht-beabsichtigte Nebeneffekte: Kategorien-Hüpfen, Torschlusspanik und Abschreckung von Pendelmigration.

Im April 2013 aktiviert der Bundesrat die im Freizügigkeitsabkommen mit der EU als Übergangslösung vorgesehene Ventilklausel, welche es der Schweiz ermöglicht, während einer bestimmten Zeit EU-Bürger für ein Jahr zu kontingentieren. Im Nachhinein konnte man feststellen, dass das erklärte Ziel der Zuwanderungsreduktion nicht erreicht wurde. An Stelle von Langzeitbewilligungen wurden vermehrt Kurzzeitbewilligungen ausgestellt, ein Hüpfen von einer Kategorie in eine andere, prekärere Kategorie. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) empfiehlt neuerdings gar aktiv ein solches Vorgehen.

Das Kategorienhüpfen ist aber nicht der einzige Effekt, der die Reduktionswirkung einer Schutzklausel unterminiert. Diese wirkt bereits bevor sie überhaupt in Kraft ist. Denn Menschen antizipieren in der Regel, wenn staatliche Massnahmen verbindlich angekündigt werden. Dies kann einerseits durch eine Torschlusspanik geschehen. Je näher und je wahrscheinlicher die Aktivierung der Schutzklausel kommt, desto stärker ist der Anreiz, eine möglicherweise benötigte Arbeitskraft aus dem europäischen Ausland möglichst noch vor Inkrafttreten der Schutzklausel zu rekrutieren. Andererseits haben durch die Drohung der Aktivierung der Schutzklausel bereits ansässige Migranten einen verstärkten Anreiz, sich permanent in der Schweiz niederzulassen. All jene Personen, welche als Pendelmigranten saisonal in der Schweiz arbeiten, werden eher in der Schweiz verweilen, da sich nach einer Aktivierung der Schutzklausel die Rückkehr in die Schweiz deutlich schwieriger gestaltet.

Die Vorstellung, dass sich Migration mechanisch steuern lasse, ist irreleitend. (Bild: Wikimedia Commons)

Symbolpolitik am Ende

Eine Schutzklausel wirkt somit durchaus auf Migrationszahlen, nur die beabsichtigte Zuwanderungsreduktion dürfte sie kaum erreichen. Sehr wohl aber könnte eine Schutzklausel als weitere symbolische Massnahme dienen, so zu tun, als ob man die Zuwanderung begrenzen könne und wolle. Doch die Inkompatibilität von Personenfreizügigkeit und Kontingentssystem ist derart klar, dass dieser vermeintliche Ausweg kaum erfolgsversprechend ist. Umso mehr stellt die MEI-Umsetzung eine Chance dar, um eine realistische Sichtweise auf Migrationssteuerung zu entwickeln und zu kommunizieren. Die Einsicht, dass eine deutliche Reduktion der Zuwanderung nicht nur politisch an seine Grenzen stösst, sondern alleine deren Versuch auch hohe Kosten generiert, fehlt in der Schweizer Migrationsdebatte (siehe dazu foraus-Diskussionspapier „Gefangen im Nullsummenspiel – Eine Bewertung der MEI-Umsetzungsvorschläge”).