Rechtskonservativismus siegt, der Friedensprozess wird geschwächt – teilweise. Kolumbien hat gewählt.

Paix et sécurité

Kolumbien hat am Sonntag mit 53.98% (10’373’080 Stimmen) erwartungsgemäss den rechtskonservativen Iván Duque als neuen Präsidenten gewählt. Die weitaus grössere Überraschung sind die 8’034’189 Millionen Stimmbürgerinnen, welche ihre Stimme Gustavo Petro, dem ehemaligen Bürgermeister von Bogotá und Ex-Guerillero der M-19, schenkten. Dies ist ein starkes Votum für die Fortführung des Friedensprozesses und die Reintegration der demobilisierten Guerilleras und Guerilleros in die ökonomischen, politischen und sozialen Gesellschaftsstrukturen. Die Schweiz sollte den Friedensprozess nach wie vor unterstützen.

Die erste Wahl nach Unterzeichnung des Friedensvertrags

Trotz der Zunahme von Gewalt und Mord an Menschenrechtsverteidigerinnen und den 2’030 Anzeigen, welche bei der Wahlbeobachtungsbehörde eingingen, verliefen die Präsidentschaftswahlen ruhig. Dass dies auf den 2016 unterzeichneten Friedensvertrag zwischen dem Staat und der ehemals grössten Guerillabewegung FARC zurückzuführen ist, hat gestern der Direktor der Zeitung El Espectador der kolumbianischen Öffentlichkeit eindrucksvoll in Erinnerung gerufen. Zum ersten Mal hätten sie keine zusätzliche Seite für politisch motivierte Gewalttaten gegen die Öffentlichkeit bereithalten müssen. Doch dieser Friedensvertrag steht auf wackligen Beinen, denn Iván Duque der Partei „Demokratisches Zentrum“ gilt als politischer Zögling des Ex-Präsidenten Álvaro Uribe. Im Jahr 2016 mobilisierte Uribe erfolgreich gegen den Friedensvertrag, indem er unter anderem einer Übergangsjustiz inhärente Kompromisslösungen als Amnestien für „Kriegsverbrecher“ anprangerte.

Nach dem verlorenen Volksreferendum und der späteren parlamentarischen Verabschiedung eines angepassten Friedensabkommens, profilierte sich Iván Duque, in treuer Begleitung Uribes, als Gegner der eingesetzten Friedensinstitutionen. Da das Gewaltpotential und die damit verbundenen ökonomischen Einbussen jedoch hoch wären, versprach Duque nach dem ersten Wahlgang den Vertrag nicht in Stücke zu zerreisse („No queremos hacer trizas el acuerdo de paz“), ihn aber zu modifizieren. Der Spielraum zwischen kompletter Destruktion und feinen Modifikationen ist natürlich immens. Und es wird sich erst in den kommenden Monaten zeigen, ob sich Duque an den vom Staat unterschiebenen Vertrag halten wird. Dagegen sprechen die Äusserungen radikaler, erzkonservativen Exponenten seiner eigenen Partei, dafür sprechen aber die vielen ökonomischen, sozialen und sicherheitspolitischen Herausforderungen, welche den neuen Präsidenten sowieso erwarten.

Die Bedeutung der über 8 Millionen Stimmen für Gustavo Petro

Was Duque gelungen ist, strebte Gustavo Petro gar nicht erst an: Die Mobilisierung der Mittewähler. Petro hat an seinem – für Kolumbien radikal linken – Diskurs festgehalten, seine Guerillero Vergangenheit offen in Interviews besprochen und seine eigene Stimmabgabe in einem Armenviertel im Süden von Bogotá vorgenommen. Dies ist ein Novum: noch nie hat ein linker Sprengkandidat so viele Stimmen vereinen können. Vor weniger als zwei Jahren haben sich über sechs Millionen Menschen (50.21%) gegen den Friedensvertrag und damit klar gegen eine Reintegration der FARC-Kämpferinnen und -Kämpfer ausgesprochen, am Sonntag stimmten nun über acht Millionen für einen Ex-Guerillero. Dies ist bedeutsam, denn es zeigt, dass ein grosser Teil der kolumbianischen Bevölkerung bereit für einen integrativen Neustart ist und sich gegen die politische Elite stellt.

Eine Bitte an die Schweiz

Dank erhöhter politischer Stabilität und durch den Friedensvertrag eingeführte Steuererleichterungen für internationale Unternehmen, falls diese in die Infrastruktur konfliktbetroffener Regionen investieren, profitieren auch Schweizer Konzerne vom momentanen Abkommen. Zudem haben Schweizer Diplomatinnen und Diplomaten im Rahmen der Guten Dienste über viele Jahrzehnte hinweg eine wichtige Rolle in der Vermittlung zwischen der FARC und dem kolumbianischen Staat eingenommen. Sowohl die DEZA wie auch das SECO definierten Kolumbien im Jahr 2001 bzw. 2009 als eines ihrer Schwerpunktländer. Nach diesem Wahlergebnis scheint eine fortlaufende internationale Begleitung umso wichtiger, denn tausende junge demobilisierte Kämpferinnen und Kämpfer harren in designierten Zonen aus, warten auf ihre Möglichkeit zu einem friedlichen Neustart und sind auf staatlichen Schutz angewiesen. Es ist deshalb umso bedauerlicher und unverständlich, dass Aussenmister Ignazio Cassis gemäss der NZZ das Engagement der DEZA in Lateinamerika verringern möchte.