Rimessen sind privates Geld! Die Reaktion von Alliance Sud auf «Motor Migration»

Migration

Nina Schneider – David Kaufman fordert in letzter Konsequenz ein «Recht auf internationale Niederlassungsfreiheit» und den freien Arbeitsmarktzugang als Ziele für die Post-2015-Agenda. Eine tatsächlich revolutionäre Forderung! Aber nur, wenn sie mit dem Recht auf würdige Arbeit und sozialen Sicherungsnetzen gekoppelt wird.

Sustainable Development Goals – Die Blogreihe

Dieser Beitrag und Teil einer Blog-Reihe zu den Sustainable Development Goals (SDG). Diese Blog-Reihe reflektiert bis Mitte Oktober verschiedene Aspekte dieser zukünftigen Entwicklungsagenda.

Die Forderung nach total liberalisierten Arbeitsmärkten aus David Kaufmans Blog scheint mir darum etwas vorschnell. Märkte sind keine von sich aus handelnden Subjekte, sondern werden von den Mächtigen und Starken zu ihrem Vorteil genutzt und sind demnach per se nie gerecht. Aus entwicklungspolitischer Sicht braucht es neben einem Recht auf globale Niederlassungsfreiheit, einen Arbeitsmarkt, der Chancen gleichmässig verteilt.

Wie wir alle wissen, ist Lohnarbeit im Gegensatz zu Carearbeit ein prekäres Gut, das nur mit einer gewissen Regulierung gerecht auf die Bevölkerung verteilt werden kann. Fällt jegliche Regulierung weg, werden die schwächeren Gesellschaftsmitglieder schamlos ausgebeutet oder ausgegrenzt. Eine zukunftsfähige Entwicklungsagenda muss also erst noch Arbeitsmärkte schaffen, welche fähig sind, aktuell marginalisierte Gruppen durch gezielte Förderung wieder einzubinden. Das kostet zwar alles Geld, wird aber auf die lange Dauer sicher viel billiger sein, als die gegenwärtige Abwehrpolitik gegen Migranten und Arbeitslose. Darin gebe ich David Kaufmann recht.

Wem gehören die Rimessen?

Es gilt denn, ein paar falsche Grundannahmen der Migrations- und Entwicklungsdebatte ausräumen:  Die Finanzierungskapitel der Post-2015-Grundsatzpapiere sind alle noch dünn. Viele, darunter auch die Schweiz, nennen auch Rimessen als mögliche Quellen für die Finanzierung der globalen nachhaltigen Entwicklung. Rimessen, also die Rücküberweisungen von MigrantInnen an ihre Familien in den Herkunftsländern sind aber keine Entwicklungsgelder, sondern privates Geld. Es sind Lohnanteile von arbeitenden Menschen, die ihr Einkommen vielerorts bereits rechtmässig versteuert haben. Sie sind darum grundsätzlich zu unterscheiden von der öffentlichen Entwicklungshilfe (ODA), der Mobilisierung von eigenen Ressourcen in den Schwellen- und Entwicklungsländern, alternativen Finanzierungsinstrumenten und Beiträgen von Stiftungen und dem Privatsektor.

Die Tatsache, dass MigrantInnen drei- bis viermal so viel Geld in die Entwicklungsländer schicken wie die ODA bedeutet nichts anderes, als dass sie einen drei- bis viermal grösseren Beitrag an die Armutsreduktion leisten als die öffentliche Hand. Für 2013 erwartet die Weltbank Überweisungen im Umfang von 414 Milliarden Dollar. Trotzdem bleiben die Gelder privat. Wenn nun die Staatengemeinschaft darauf hofft, dass diese Gelder, oder ein Teil davon, entwicklungswirksam eingesetzt werden, ist das ein Zeichen dafür, dass sie sich zunehmend aus der Pflicht zur Nord-Süd-Umverteilung stehlen und die Verantwortung für Entwicklung individualisieren möchte.

Normalfall Migration

Menschen wandern seit jeher. Das taten sie häufig auch ohne wirtschaftliche Not, aus reinem Interesse. Durch die Verarmung ganzer Kontinente, Klima- und Umweltkatastrophen, Kriege sowie die Globalisierung der Arbeitsmärkte und die Strukturanpassungsprogramme von IWF und Weltbank haben die Wanderungsbewegungen in den letzten Jahrzehnten aber massiv zugenommen. Gemäss Zahlen der UNO sind heute drei Prozent der Weltbevölkerung oder rund 232 Millionen Menschen gezwungen, ihr Auskommen fern ihrer Heimat zu suchen.

Ein Grossteil der MigrantInnen arbeitet zu miserablen Löhnen und Arbeitsbedingungen und lebt ohne Rechts- und Aufenthaltsstatus in prekären Verhältnissen. Viele investieren ihre gesamten Familienersparnisse in die Reise oder verschulden sich im Umfang eines Jahresgehalts bei Vermittlungsagenturen und Schleppern. Sie schuften sechs bis sieben Tage die Woche bis zu zwölf Stunden am Tag in steuerbefreiten Produktionszonen, auf dem Bau, auf informellen Märkten, im Gastgewerbe, in der Pflege oder als Hausangestellte. Der Löwenanteil ihrer Rücküberweisungen sind Kleinstbeträge, schwer verdient und vom Mund abgespart.

Die Gewinner der Rimessen

Eine goldige Nase an den Rimessen verdient sich dagegen der Bankensektor. Gemäss Zahlen der Weltbank betragen die Transaktionskosten für Rimessen im Durchschnitt neun Prozent. Zusätzlich hätten viele Banken in Empfängerländern angefangen, eine Empfangsgebühr von fünf Prozent zu erheben. Real heisst das, dass von überwiesenen 100 bis zu 14 Franken von Geldinstituten abgeschöpft werden.

Zuhause stopfen die Rimessen meist lediglich die ärgsten Löcher in der Haushaltskasse. Vielleicht ermöglichen sie einen Schuleintritt, einen Besuch beim Arzt, oder den Kauf eines Kühlschranks, Fernsehers, Handys oder Computers. Selten erlauben sie grössere Investitionen, die neue Jobs vor Ort schaffen könnten. Rimessen tragen also zum ganz normalen Lebensunterhalt bei, wie dies auch Löhne von Angestellten in Europa tun.

OECD in der EZA-Pflicht

Allenfalls könnten Rimessen mit Nothilfe verglichen werden, mit Entwicklungshilfe aber haben sie wenig bis gar nichts zu tun. Denn anders als Nothilfe verteilt zeitgemässe Entwicklungszusammenarbeit weder Geld noch Güter. Sie hilft vielmehr institutionelle Prozesse anzustossen, welche die Basisversorgung auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene für alle Menschen sicherstellt. Dafür ist die ODA da, also die Transferleistungen der reichen OECD-Länder.

Diese durch hart verdiente Rimessen ersetzen und auch nur ergänzen zu wollen, ist zynisch und absurd. Für die strukturelle Entwicklung sind nicht die MigrantInnen zuständig, welche bereits die Versorgung ihrer Familie garantieren, sondern ihre Regierungen. Denn diese haben sich in den Menschenrechtspakten verpflichtet, Bedingungen zu schaffen, die den Menschen ermöglichen, ihre sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Grundbedürfnisse zu decken, dazu gehören etwa der Zugang zu Bildung, Gesundheit, Trinkwasser, Energie etc.

Das Recht auf Niederlassungsfreiheit

Aus entwicklungspolitischer Sicht ist es naheliegend, als Migrationsziel für die Post-2015-Agenda eine schrittweise Öffnung der Arbeitsmärkte zum Schutz der WanderarbeiterInnen zu fordern. Allerdings müsste diese Forderung im Sinne der Nachhaltigkeit mit einem Recht auf würdige Arbeit, globaler Niederlassungsfreiheit und universalen sozialen Sicherungsnetzen verknüpft werden. Sonst könnte sie von den Regierungen genutzt werden, arme Bevölkerungsschichten in die Emigration abzudrängen und die eigenen Versorgungspflichten zu vernachlässigen. Nicht von ungefähr ist auffallend wenig von realen Menschen die Rede wenn vom Entwicklungsnutzen der Migration gesprochen wird. Von den Leistungen der MigrantInnen profitieren nämlich die Herkunfts- und die Empfängerländer nicht selten mehr als die Familien selber. Man denke dabei ans generelle Wirtschaftswachstum, an Umlageverfahren wie Steuern oder die Schweizer AHV, aber auch an die Einschränkung des Familiennachzugs.

Dies mag mit ein Grund sein dafür, dass am High Level Dialogue zu Migration und Entwicklung anlässlich der diesjährigen Uno-Generalversammlung eine Deklaration verabschiedet wurde, welche die Migration als Instrument der Entwicklung fördern und Migranten und ihre Rechte auf allen Ebenen besser schützen will. An der weltweiten Diskriminierung und Kriminalisierung von MigrantInnen wird das vorderhand wenig ändern.

Keine Demokratie des globalen Nordens lässt freie Einwanderung aus allen Weltgegenden zu oder vergibt die Staatsbürgerschaft automatisch an alle, die sie haben möchten. Die Industrieländer profitieren gerne von den gut Gebildeten oder von günstigen BilliglohnarbeiterInnen für bestimmte Branchen und Zeiträume. Der Grossteil der Arbeitssuchenden und deren Familien sind aber unerwünscht. Und zumindest in näherer Zukunft dürfte eine Aufhebung dieser Grenzregime politisch auch nirgendwo ernsthaft zur Debatte stehen. Es gibt zwar ein Menschenrecht auf Auswanderung und eines auf innerstaatliche Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit, nicht aber ein Menschenrecht auf Einwanderung bzw. zwischenstaatliche Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit. Auch die Gestaltung der Einbürgerungspolitik ist völkerrechtlich prinzipiell ein Exklusivrecht souveräner Nationalstaaten.

Im Allgemeinen ist das Bewusstsein gering, dass MigrantInnen in den Empfängerländern genauso wie in den Herkunftsländern zum Wohlstand beitragen, ihn oft sogar erst ermöglichen. Auch in Ländern wie der Schweiz, die ohne Zuwanderung wirtschaftlich wie sozial eine scharfe Krise erleben würden, bleibt der Grundtenor im öffentlichen Diskurs ausländerfeindlich. Unrechtsverhältnisse, Diskriminierung und Menschenhandel, aber auch Schiffskatastrophen auf dem Mittelmeer, rufen zwar immer wieder Empörung hervor, an der Migrationsabwehr- und Einwanderungspolitik ändern sie letztlich wenig bis nichts.

Insofern ist es zu begrüssen, dass die Staatengemeinschaft einstimmig die besagte Deklaration unterstützt, die transnationale Mobilität als Schlüsselfaktor einer nachhaltigen Entwicklung anerkennt und global die Menschenrechte von Migranten stärken will.

Migration schafft Versorgungslücken

Was die Befürwortern der Liberalisierung von Arbeitsmigration jedoch kaum diskutieren, ist die Tatsache, dass mehr und mehr Länder geradezu mit der Arbeitskraft ihrer Bürgern spekulieren. Der Mensch wird zunehmend zu einer Ware, die von einer Billigproduktionszone zur nächsten verschoben werden kann, um Preise und Löhne niedrig zu halten. Die psychologischen und sozialen Auswirkungen und Kosten für das Individuum und den Zusammenhalt der Gesellschaft, bleiben aussen vor.

Eine echte Nachhaltigkeitspolitik sollte breiter denken und auch die Rechte derjenigen schützen, die zurückbleiben müssen oder wollen. Noch spricht kaum jemand von den Kindern, die ohne Mütter und Väter aufwachsen und von den Alten, die ohne Pflege ihrer Angehörigen sterben. Mit der Arbeitskraft, die weltweit auf den Markt geworfen wird, entsteht ein Defizit auf dem nichtmonetären Markt der Beziehungsarbeit und Pflege. In jeder Gesellschaft wird mehr als 50 Prozent der Arbeitskraft gratis, das heisst ausserhalb der Erwerbstätigkeit geleistet. Sie ist für den Erhalt und die Reproduktion einer Gesellschaft unerlässlich. Wird nun die Migration als Instrument der Armutsbekämpfung und Entwicklung gefördert, ist es unerlässlich, diese Arbeit durch neue soziale Sicherungsnetze zu ersetzen.

Es reicht also nicht, legale Migrationskanäle zu öffnen, um MigrantInnen vor Ausbeutung zu schützen. Es bedarf einer globalen Stärkung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte. Denn nur wenn überall die Basisversorgungsrechte gewährleistet sind, können sich Menschen gegen ausbeuterische Arbeitsverhältnisse und Schlepperwesen wehren. Werden Regierungen nicht in die Pflicht genommen, werden sie nur allzugern ihre Versorgungspflichten an auswandernde Landsleute delegieren.

Nahezu die Hälfte aller Migrierenden sind Frauen

Am Schluss noch ein Einwand: Lieber David Kaufmann, lesen Sie bitte Ihren Blog nochmals durch und bedenken Sie, die Hälfte der Erdbevölkerung sind Frauen. Als Migrantinnen arbeiten sie im Sexgewerbe, in der Pflege und der Hausarbeit, aber auch im industriellen Niedrigstlohnsektor. Abgesehen von ein paar wenigen Ausnahmen, verdienen sie auf allen Ebenen der Gesellschaft für die gleiche Arbeit erheblich weniger als ihre männlichen Kollegen und erledigen daneben noch gratis und unversichert den Grossteil der Haus- und Pflegearbeit. Grund genug die Frauen aktiv  mitzudenken, wenn wir von Entwicklung, Wirtschaft und Migrationspolitik reden.

Allerdings genügt auch dieser Beitrag meinen Genderansprüchen nicht mehr, nachdem mir die foraus-Redaktion den geschlechtergerechten Sprachgebrauch wegredigiert hat.

Nina Schneider ist bei Alliance Sud verantwortlich für internationale Entwicklungspolitik.

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