Abstimmung über die Energiestrategie 2050: Worum geht es und was steht auf dem Spiel?

Umwelt, Energie & Verkehr

Wirtschaftliche Realitäten sorgen dafür, dass unsere AKWs abgeschaltet werden. Politische Realitäten machen den Import von EU-Strom schwierig und fordern eine inländische Emissionsreduktion. Vor diesem Hintergrund bietet das erste Massnahmenpaket der Energiestrategie 2050 eine mehrheitsfähige Lösung an. Die Argumente dagegen stützen sich auf «alternative Fakten», weil es keine richtigen Fakten gibt, die dagegensprechen.

Worüber stimmen wir ab?

Der Bundesrat hat die Energiestrategie 2050 im Nachgang zur Reaktorkatastrophe in Fukushima erarbeitet und stützt sich dabei auf vier Säulen: Energieeffizienz, erneuerbare Energien, Stilllegung der fünf Kernkraftwerke am Ende ihrer Betriebsdauer sowie die Energieaussenpolitik.

Nächsten Sonntag stimmen wir über das erste Massnahmenpaket der Strategie ab. Die wichtigsten drei Punkte sind:

  • Energieeffizienz: Mehr Geld aus der unveränderten CO2-Abgabe für Gebäudesanierungen (450 anstatt 300 Mio. Fr.)
  • Erneuerbare Energien: Über einen erhöhten Stromzuschlag (2.3 anstatt 1.5 Rp. Pro kWh) wird der jährliche Fördertopf für erneuerbare Energien vergrössert. Dadurch kann die Warteliste, auf der momentan noch Projekte aus dem Jahr 2011 stehen, abgebaut werden und geplante Investitionen können getätigt werden.
  • Der Ausstieg aus der Atomkraft wird auf gesetzlicher Stufe verankert.

Dieses erste Paket soll ab 2021 vom zweiten Massnahmenpaket abgelöst werden. Das heutige Fördersystem soll mit einem Lenkungssystem ersetzt werden. Das zweite Paket steht, trotz bundesrätlicher Unterstützung auf wackligen Beinen im Parlament.

«There is no alternative»

Das Massnahmenpaket ist kein visionärer Wurf. Es ist die Reaktion auf wirtschaftliche und politische Realitäten. Neue AKWs sind in der Schweiz wirtschaftlich nicht mehr tragbar, was der Entscheid der drei grossen Schweizer Energiekonzerne Axpo, Alpiq und BKW im Oktober gezeigt hat. Sie alle haben ihre Pläne für neue AKWs begraben. Politisch hat sich die Schweiz einerseits im Pariser Klimaabkommen zur Reduktion ihrer Treibhausgasemissionen verpflichtet. Andererseits stecken die Verhandlungen über ein Stromabkommen mit der EU in der Sackgasse, weil die MEI weiterhin jegliche neuen Abkommen zwischen der Schweiz und der EU blockiert.

Die Stromproduktion der AKWs bei unsicherer Rechtslage mit den EU-Nachbarstaaten und die daraus folgenden Importunsicherheiten zu ersetzen und gleichzeitig die Emissionen zu reduzieren ist nur durch den Ausbau erneuerbarer Energien und eine verbesserte Energieeffizienz erreichbar.

Auch der Gegner des neuen Gesetzes, die SVP, hat auf diese Alternativlosigkeit keine Antwort. Stattdessen stürzt sich das Referendumskomitee relativ hilflos in eine Angstkampagne, die losgelöst jeglicher Fakten argumentiert. Darum hier ein kurzer Fact-Check:      

1.     105 anstatt 3’200 Franken pro Haushalt pro Jahr

Als Folge des Massnahmenpakets 1, werden laut Berechnungen des BFE und von SRF, maximale Mehrkosten von 105 Franken pro Haushalt und Jahrerwartet. Wie kommt das Referendumskomitee also auf 3’200 Franken? Erstens rechnet es Investitionen in die Netz- und Stromproduktionsinfrastruktur mit ein. Die würden auch ohne die Gesetzesänderung anfallen. Zweitens fliessen in die Berechnungen Schätzungen zu den Kosten des Lenkungssystems ein. Dieses ist als Ersatz ab 2021 geplant, und dessen Einführung durch den Nichteintretensentscheid des Nationalrats ist sehr fraglich. Zudem kann auch jeder und jede seine Mehrkosten durch den eigenen Stromkonsum beeinflussen.

2.     Weniger Auslandabhängigkeit und mehr Arbeitsplätze

Das Referendumskomitee vertritt die Meinung, dass durch die Änderung des Energiegesetzes die Auslandabhängigkeit der Schweiz steigt und Arbeitsplätze verloren gehen. Das Gegenteil ist das der Fall. Durch den Ausbau der erneuerbaren Energien, werden im Inland frei erhältliche Ressourcen wie Sonne und Biomasse genutzt.

Bezüglich der Arbeitskräfte ist die Rechnung schnell gemacht: Das zweitgrösste AKW der Schweiz in Gösgen beschäftigt 550 Mitarbeiter. Demgegenüber zeigen Berechnungen, dass allein erhöhte Investitionen in Energieeffizienzmassnahmen, zusätzlich 5000 Arbeitsplätze im Baugewerbe kreieren werden.

3.     Kein Windrad auf dem Matterhorn

Schlussendlich beruft sich das Referendumskomitee auf Ängste, wie Verschandelung der Landschaft und massenhafte Tötung von Vögeln. Windräder brauchen gute Zugangsstrassen. Deshalb gibt es heute schon Windräder auf dem gut erschlossenen Gotthardpass. Das Matterhorn jedoch wird sicher nicht zugebaut, wie in die Kampagne suggeriert. Ausserdem sind die Windressourcen in der Schweiz mittelmässig, weshalb wohl nur vereinzelt Windräder gebaut werden. Photovoltaik- und Biomasseanlagen werden also das Gros des Zubaus ausmachen.

Pro Jahr geht das BFE, basierend auf einer Fallstudie im Jura, von 20.7 Vogelopfern pro Windanlage aus. Gemäss Zahlen aus den USA, erlegt eine Hauskatze pro Jahr 4 bis 18 Vögel. In der Schweiz leben rund 1.5 Millionen Hauskatzen. Konservativ geschätzt könnten wir also knapp 300‘000 Windräder bauen, und der Schaden für die Vögel wäre gleich gross, wie er jetzt wegen unserer Katzen ist.

Visionär ist anders

Wie so oft, kocht die Politik heisser, als gegessen wird. Der Ausbau erneuerbarer Energien bleibt gedeckelt. Die alten AKWs haben keine Laufzeitbeschränkung und neue sind sowieso unrentabel. Die schärfsten Zähne wurden der Vorlage von den eidgenössischen Räten schon gezogen. Die Entstehungsgeschichte unterstreicht die Ausgewogenheit des Vorschlags. Nach der Beratung in den Kommissionen, ging die parlamentarische Initiative 2013 fünf Mal zwischen National- und Ständerat hin und her, bis der endgültige Gesetzesvorschlag stand. Gut austariert führte dieser Vorschlag dann auch zum Rückzug der lancierten Cleantech-Initiative. Gewohnt schweizerisch, geht die Energiestrategie 2050 also in die ökonomisch und politisch sinnvolle Richtung, ohne dabei sonderlich progressiv oder innovativ zu sein. Schade, es gäbe mehr zu holen für die Schweiz. Und: Diskussionen über solch kosmetische „Reformen“ nehmen uns nur die Zeit für wirkliche Zukunftsdebatten.

Für den vollen Fakten-Check lohnt sich ein Besuch auf Vice. Alle Infos des UVEKs gibt es hier.