Aussenpolitik-Briefing: Handel

Inmitten des Wahlherbsts 2023 lancieren wir eine Serie von prägnanten Aussenpolitik-Briefings. In den 14 themenspezifischen Briefings reflektieren 23 Autor:innen die Vielfalt der aussenpolitischen Herausforderungen, die einerseits die Parlamentarier:innen die letzten vier Jahre beschäftigten und andererseits die politische Agenda in naher und mittlerer Zukunft bestimmen werden. Bis zu den nationalen Wahlen am 22. Oktober publizieren wir die Aussenpolitik-Briefings auch als Blogserie.

Handel

Executive Summary

– Der Abbruch der Verhandlungen über ein Rahmenabkommen mit der EU und das nur knapp gewonnene Referendum gegen das Freihandelsabkommen mit Indonesien zeigen die innenpolitische Zerstrittenheit über die Prioritäten der Schweizer Handelspolitik.

– Die zunehmend polarisierte und krisengeschüttelte multilaterale Handelspolitik führt zusammen mit den innenpolitischen Differenzen zu einer abnehmenden Resilienz der Schweizer Wirtschaft.

– Eine verstärkte Hinwendung zu Handelspartnern ausserhalb der EU erscheint aufgrund der protektionistischen Agrarpolitik der Schweiz oder des beschränkten Liberalisierungspotenzials wenig erfolgversprechend. 

– Weitere Herausforderungen ergeben sich für die Schweiz aus den Nachhaltigkeitsinitiativen der EU, insbesondere wenn das Europadossier ohne Fortschritte bleibt.

Rückblick

Die Legislaturperiode 2019-2023 war handelspolitisch turbulent. Auf internationaler Ebene brachte Ex-US-Präsident Trump die WTO zum Stillstand, wo sie bis heute verharrt. Die Covid-Pandemie zeigte die Verwundbarkeit von Lieferketten auf, die auf wenige Lieferanten in teilweise fernen Ländern ausgerichtet sind. 

Die wichtigste handelspolitische Entwicklung der letzten Legislatur war der einseitige Abbruch der Verhandlungen über ein Rahmenabkommen mit der EU durch den Bundesrat. Die EU stoppte daraufhin die Verhandlungen über die Aktualisierung des bilateralen Abkommens über technische Handelshemmnisse. Besonders betroffen war und ist die Medtech-Branche, für welche die fehlende Aktualisierung den grenzüberschreitenden Verkehr von Produkten erheblich erschwert. 

Weiter beschloss das Parlament die Abschaffung der Industriezölle und der Bundesrat veröffentlichte die neue Strategie zur Aussenwirtschaftspolitik. Die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung ist darin neu als eines von drei Zielen verankert, ansonsten unterscheidet sie sich kaum von der Strategie aus dem Jahr 2007. Diese teilweise Neuausrichtung kommt nach den Nachhaltigkeitsbedenken rund um die beiden Freihandelsabkommen (FHA) mit Indonesien und Mercosur nicht überraschend. Die Abstimmung über das FHA mit Indonesien im März 2021 wurde mit 51.3% knapp angenommen. Es war die erste Abstimmung über ein FHA seit dem obligatorischen Referendum über das FHA mit der damaligen Europäischen Gemeinschaft 1972. Gemäss einer neuen Studie haben die Schweizer FHA in der Vergangenheit nur begrenzt zu einem Anstieg der importierten Treibhausgasemissionen geführt, was wohl auch für andere Umweltauswirkungen zutrifft. 

Ausblick

Das Verhältnis zur EU, dem grössten Handelspartner der Schweiz, bleibt die grösste handelspolitische Herausforderung für die nächste Legislaturperiode. Die fehlende Aktualisierung des Abkommens über technische Handelshemmnisse wird sich mit fortschreitender technologischer Innovation zunehmend negativ auswirken (siehe Briefing “Europa”). 

Als Alternative zu einer institutionellen Lösung mit der EU wird ein umfassenderes FHA mit der EU vorgeschlagen. Ein solches FHA würde bei weitem nicht die wirtschaftlichen Vorteile bringen, welche die Schweiz mit den Bilateralen geniesst. Dies zeigt das Beispiel Grossbritanniens nach dem Brexit: Der grenzüberschreitende Warenverkehr ist mit massiven Hindernissen konfrontiert, was zu einem Rückgang des Handelsvolumen um fast 20% geführt hat. Zudem würde die EU bei einer Neuverhandlung des FHAs mit der Schweiz eine Öffnung des Agrarmarkts aushandeln wollen – ein Schritt, zu dem die Schweiz kaum bereit sein dürfte. 

Eine stärkere Integration in die Weltwirtschaft als Alternative zur EU wird nicht ausreichen. Die Schweiz verfügt bereits über ein dichtes Netz von FHA. Die Modernisierung wichtiger FHA, etwa mit China oder Japan, kommt kaum voran. Auch die Verhandlungen mit Vietnam oder Indien stocken. Die protektionistische Agrarpolitik macht auch einen Beitritt der Schweiz zum grossen Freihandelsraum CPTPP oder ein FHA mit den USA unwahrscheinlich. Wobei die USA mittlerweile weniger auf Marktzugang als auf den Aufbau geostrategischer Allianzen setzen, was nicht den Interessen der Schweizer Aussen(wirtschafts)politik entspricht. Weiteres Liberalisierungspotenzial besteht jedoch im Bereich der Ursprungskumulation.

Gleichzeitig stellen unilaterale Massnahmen der EU im Bereich der Nachhaltigkeit die Schweiz vor neue europapolitische Herausforderungen. Der CO2-Grenzausgleich, die neue Entwaldungsverordnung sowie die Corporate Sustainability Due Diligence Directive zwingen die Schweiz ähnliche Instrumente einzuführen, um nicht als Drittstaat höheren Handelshürden ausgesetzt zu sein (mehr zu den ersten beiden Instrumenten im Briefing “Umwelt”). Begrenzte Fortschritte bei den institutionellen Fragen mit der EU dürften auch die Anerkennung der schweizerischen Massnahmen in diesen Bereichen durch die EU erschweren. Auch andere unilaterale Handelsmassnahmen wie die EU-Schutzzölle auf Stahl, von denen die EWR-Staaten, nicht aber die Schweiz ausgenommen sind, dürften zunehmend zum Problem werden.

Auch in der Schweiz gibt es Bestrebungen, die Handelsbeziehungen nachhaltiger zu gestalten. So fordert die Aussenpolitische Kommission des Nationalrates in einer parlamentarischen Initiative (23.426) den Bundesrat auf, das Bundesgesetz über aussenwirtschaftliche Massnahmen (SR 946.201) so zu revidieren, dass Nachhaltigkeitsziele besser erreicht und demokratiepolitische Prozesse besser berücksichtigt werden können. 

Auf multilateraler Ebene dürften die nächsten vier Jahre weiterhin von Stillstand und zunehmender Polarisierung geprägt sein. Die Schweiz kann zwar als Vermittlerin zur Deblockierung beitragen, hat aber alleine zu wenig Gewicht, um das für sie wichtige regelbasierte multilaterale Handelssystem zu retten. Entsprechend schwierig dürfte die innenpolitische Auseinandersetzung mit dem wachsenden Flickenteppich unilateraler und plurilateraler Massnahmen Dritter werden. Zusammen mit der fehlenden Kooperation mit der EU führt dies zu einer kontinuierlichen Schwächung der schweizerischen Wirtschaft. Innenpolitisch stehen gleichzeitig schwierige, aber wichtige Diskussionen über die Rolle von Nachhaltigkeit und Demokratie in künftigen Handelsabkommen bevor.