Aussenpolitik-Briefing: Umwelt

Inmitten des Wahlherbsts 2023 lancieren wir eine Serie von prägnanten Aussenpolitik-Briefings. In den 14 themenspezifischen Briefings reflektieren 23 Autor:innen die Vielfalt der aussenpolitischen Herausforderungen, die einerseits die Parlamentarier:innen die letzten vier Jahre beschäftigten und andererseits die politische Agenda in naher und mittlerer Zukunft bestimmen werden. Bis zu den nationalen Wahlen am 22. Oktober publizieren wir die Aussenpolitik-Briefings auch als Blogserie.

Umwelt, Energie & Verkehr

Executive Summary

– Die Welt und somit auch die Schweiz ist mit den dringlichen Herausforderungen einer dreifachen planetarischen Krise Klimawandel, Biodiversitätsverlust und Umweltverschmutzung konfrontiert.

– Die Schweiz hat sich in internationalen Abkommen zu mehreren Umweltzielen verpflichtet, deren Umsetzung auf nationaler Ebene noch unvollständig ist.

– Nachbarstaaten und insbesondere die EU gehen die Krisen ambitioniert an, weshalb die Schweiz aufpassen muss, nicht als Nachzüglerin dazustehen.

 

Rückblick

Der UNO-Menschenrechtsrat stimmte 2022 einstimmig für eine von der Schweiz mitinitiierte Resolution [1] zur Schaffung eines eigenständigen Menschenrechts auf eine saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt. Das Momentum wäre für die Schweiz perfekt, um als Leaderin im Umweltbereich wahrgenommen zu werden, doch bei der Umsetzung ihrer ehrgeizigen Ziele ist sie selbst noch nicht auf Kurs.

Die Schweiz hat sich im Rahmen des Pariser Klimaabkommens verpflichtet, ihre Emissionen bis 2030 um 50% gegenüber 1990 zu reduzieren. Zudem will sie bis 2050 klimaneutral werden. Als tragender Pfeiler hätte laut der 2021 vom Bundesrat beschlossenen langfristigen Klimastrategie [2] das 2020 vom Parlament verabschiedete revidierte CO2-Gesetz dienen sollen. Nachdem das Stimmvolk jenes in einem Referendum ablehnte, fehlte der Schweizer Klimapolitik in der letzten Legislatur die gesetzliche Handlungsgrundlage. Als Reaktion verlängerte das Parlament das bestehende CO2-Gesetz (von 2011) bis 2024 und erarbeitete das Klima- und Innovationsgesetz (KIG) als Gegenvorschlag zur Gletscher-Initiative. Dieses Jahr nahm das Stimmvolk das KIG an  ein Meilenstein der Schweizer Klimapolitik. Doch vieles zu dessen Umsetzung und bezüglich der Zukunft des CO2-Gesetzes bleibt offen.

Internationale Vorgaben gegen den Biodiversitätsverlust werden in der UN-Biodiversitätskonvention verhandelt. 2012 adaptierte der Bundesrat die “Aichi-Ziele” in einer nationalen Strategie [3], während der Aktionsplan Biodiversität [4] zu deren Umsetzung erst 2017 verabschiedet wurde. Nur wenige Ziele wurden bisher erreicht und die erste Umsetzungsphase des Aktionsplans daher bis Ende 2024 verlängert. 2022 wurde das Montreal-Kunming-Übereinkommen mit Zielen bis 2030 verabschiedet. In den Verhandlungen setzte sich die Schweiz für ambitionierte Ergebnisse [5] ein. Angesichts des irrevisiblen Biodiversitätsverlusts drängt eine rasche nationale Umsetzung.

Ein Kernthema ist die Abschaffung von biodiversitätsschädigenden Finanzflüssen bis 2020. Dieses Ziel wurde um mehrere Jahre verfehlt. Der Grundlagenbericht [6] dazu wurde erst 2020 veröffentlicht. Mögliche Reformvorschläge sollen dem Bundesrat bis Ende 2024 vorgelegt werden. Das zögerliche Handeln der Schweiz zeigt sich auch im Vergleich mit den Nachbarstaaten. Dies führte u.a. zur Volksinitiative “Für die Zukunft unserer Natur und Landschaft (Biodiversitätsinitiative)” [7] und dem Gegenvorschlag [8] des Bundesrates, welcher demnächst vom Parlament behandelt wird.

 

Ausblick

Mit der Annahme des KIG wurde zum Ende der letzten Legislatur ein wichtiger Kompromiss in der Umweltpolitik realisiert. Doch gewisse Baustellen bleiben bestehen. Dazu gehören das CO2-Gesetz sowie das Ausarbeiten einer neuen Biodiversitätsstrategie und einer Kreislaufwirtschaftsstrategie basierend auf einer hängigen parlamentarischen Initiative (20.433) und internationalen Verhandlungen [9] zu einem Plastikabkommen.

In der nächsten Legislatur steht u.a. die nationale Umsetzung der internationalen Biodiversitätsverpflichtungen im Fokus. Das UVEK wurde beauftragt, Massnahmen zur zweiten Umsetzungsphase (2025-2030) des Aktionsplans zu erarbeiten und die Ziele der Biodiversitätsstrategie zu überprüfen. Das BAFU ist hinsichtlich der ökologischen Infrastruktur zuversichtlich, 30% Schutzfläche bis 2030 zu erreichen, insbesondere durch effektiveren Schutz von Biodiversitätsflächen, Vernetzung von Biodiversitätskorridoren sowie durch Förderung der Biodiversität in städtischen Gebieten. Die Zwischenevaluation [10] machte jedoch deutlich, dass der Aktionsplan nicht das einzige Instrument sein kann, um die nationalen Ziele zu erreichen.

Bei den Klimazielen besteht ebenfalls Nachbesserungsbedarf. Um weitere gesetzliche Handlungsmöglichkeiten zu haben, hat der Bundesrat beschlossen, erneut das CO2-Gesetz zu revidieren. 2022 hat er seinen Vorschlag dem Parlament übergeben. Die Bearbeitung wird in der kommenden Legislatur zentral. Ebenfalls wird der derzeitige Aktionsplan 2020–2025 [11] während der nächsten Legislatur auslaufen. Fragen zur Schweizer Beteiligung an internationalen Klimafonds sollten geklärt werden, ebenso wie die Möglichkeit, auch in bisher von Klimazielen verschonten Bereichen wie der Agrarpolitik [12]  Akzente zu setzen.

Zudem bleibt offen, wie die Schweiz mit den ehrgeizigen Umweltregulierungen der EU umgehen will: dem überarbeiteten Emissionshandelssystem (EHS) inklusive CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM), der Entwaldungsverordnung (EUDR), wie auch dem derzeit ausgehandelten Naturrestaurierungsgesetz. Bei diesen Regulierungen stellt sich für die Schweiz die Frage: voll, teilweise/angepasst oder gar nicht übernehmen? Bezüglich EHS hat sich der Bundesrat für eine Aktualisierung, aber gegen eine Übernahme [13] des CBAM ausgesprochen. Ob das Parlament sich dem anschliesst, ist im Kontext einer parlamentarischen Initiative (21.432) zu klären. Bei der EUDR sprach sich der Bundesrat vorerst für ein Abwarten aus, doch wegen Druck aus der Schweizer Wirtschaft [14] und eines parlamentarischen Vorstosses (22.4414), ist offen, ob seine Empfehlung mittelfristig Unterstützung findet.

Die “ökologische Wende” ist kostenintensiv. Im Klimabereich gehen Schätzungen [15] davon aus, dass bis 2030 Kosten in Höhe von bis zu 150 Mia. CHF entstehen werden, wenn die Schweiz das 2030 Ziel erreichen möchte das KIG sieht aber “nur” 3,2 Mia. CHF für staatliche Fördermassnahmen vor. Da Verkehr, Gebäude, Industrie und Landwirtschaft für mehr als 90% aller Inlandemissionen verantwortlich sind, könnten z.B., analog der Vorgehensweise anderer Länder, mit zusätzlichen Investitionen in diesen Bereichen gezielt Anreize gesetzt werden. Auch für Auslandemissionen könnten Anreize gesetzt werden, wie etwa für klimaverträgliche Finanzflüsse [16] analog der EU-Taxonomie [17]. Im Bereich Biodiversität schätzt das BAFU [18], dass bei Nichthandeln Kosten von 14 bis 16 Milliarden CHF pro Jahr entstehen würden.

Es gibt viel Handlungspotenzial um den Schweizer Umweltverpflichtungen nachzukommen und zu Akteuren wie der EU aufzuschliessen. Nichthandeln kann nicht nur noch teurer werden, sondern auch zu mehr Volksbegehren mit Umweltbezug führen, wie etwa einer EMRK-Klage [19] oder der kürzlich lancierten Initiative für einen Klimafonds [20].