Digitalisierung & Demokratie in der Schweiz – 4 Fragen an Maximilian Stern

Digitalisierung verändert viele unserer Lebensbereiche und macht auch vor demokratischer Partizipation nicht Halt. Immer öfter liest man davon in den Medien, Veranstaltungen werden dazu abgehalten und Bundesrat Ignazio Cassis sieht die Schweiz gar als Vorreiterin im Bereich der «digitalen Gouvernanz». Doch wofür stehen solche Begriffe eigentlich? Wir haben mit Maximilian Stern darüber gesprochen. Er ist Mitgründer und Vorstandsmitglied von foraus und hat gemeinsam mit Daniel Graf ein Buch über die digitale Demokratie geschrieben.

1) Neuerdings ist immer wieder von digitaler Demokratie oder E-Democracy zu lesen. Was genau steckt dahinter?

In den Medien dominieren eVoting, Fake News oder die Beeinflussung von Wählerinnen und Wählern durch Facebook, wenn das Stichwort «digitale Demokratie» aufgebracht wird. Eigentlich ist das Thema aber viel breiter: Unsere gesamte Demokratie ist in atemberaubendem Tempo dabei, sich zu digitalisieren. Parlamente, Gerichte, Verwaltungen, Parteien, Medien, Think-Tanks und natürlich auch die Diplomatie werden digital. Sie wenden neue Tools an, sammeln Daten, analysieren diese, testen neue Herangehensweisen und Prozesse. Wenn wir uns fragen, was eine digitale Demokratie ist, müssen wir zudem auch beachten, in welcher Zeit wir uns diese Frage stellen. Es ist ja nicht nur ein Zeitalter der Digitalisierung, sondern auch ein Zeitalter komplexer Konflikte in unserer Nachbarschaft, ein Zeitalter der Migration und der Mobilität, ein Zeitalter der Klimaveränderung, ein Zeitalter des Populismus. Die Digitalisierung findet nicht im leeren Raum statt, sondern hat viele Wechselwirkungen mit den grossen Herausforderungen unserer Zeit.

2) Welche Chancen und Risiken siehst du darin?

Indem wir unsere Demokratie digitalisieren, können wir vielerorts Prozesse vereinfachen. Leistungen des Staates über ein Online-Formular zu beziehen ist viel günstiger und schneller, als wenn wir das Formular ausfüllen, abstempeln und am Schalter abgeben müssen. Die gesparten Kosten können dann dort eingesetzt werden, wo die komplexen Fälle liegen: Beispielsweise für Personen, die persönliche Betreuung brauchen. Allerdings können wir eben nicht alle analogen Prozesse einfach digitalisieren. eVoting ist ein gutes Beispiel dafür, dass man testen muss, ob ein digitaler Prozess wirklich Vorteile bringt.

Ich sehe die Chancen vor allem dort, wo es darum geht, mehr Menschen spezifisch in politische Prozesse mit einzubeziehen. Sei es auf kommunaler Ebene, wo man bei der Gestaltung von Nachbarschaften viel enger zusammenarbeiten könnte. Oder auch auf Bundesebene, wo das Wissen von viel mehr Leuten abgeholt werden könnte, zum Beispiel über eine elektronische Vernehmlassung. Auch für NGOs, Parteien, Think-Tanks und andere politische Organisationen sehe ich noch viel Potenzial, weil diese auf das Mitwirken von vielen Beteiligten angewiesen sind.

Die Herausforderungen sehe ich darin, dass die Digitalisierung immer auch kritisch begleitet werden muss. Wenn Gerichte Algorithmen einsetzen, braucht es Instanzen, die diese überwachen können. Wenn der Staat immer mehr Daten sammelt, muss dies mit grösstmöglicher Transparenz geschehen, ohne die Privatsphäre des Einzelnen zu verletzen. Wenn neue Beteiligungsprozesse eingeführt werden, darf dies nicht zulasten der herkömmlichen demokratischen Rechte geschehen. Und so weiter. Eine solche kritische Begleitung braucht aber sehr viel digitales Know-How, gerade in den Medien, aber auch in der Öffentlichkeit.

3) Hast du konkrete Vorschläge für die Schweizer Politik, was verändert werden sollte?

Eines der naheliegendsten Projekte wäre die Einführung einer elektronischen Vernehmlassung. Die Vernehmlassung ist ein zentraler demokratischer Prozess in der Schweiz. Jeder und jede kann sich zu Gesetzesentwürfen äussern, das ist ein verbrieftes Recht. Allerdings ist es auch ein ziemlich theoretisches Recht, denn in Tat und Wahrheit beteiligen sich fast nur die grossen Verbände und Parteien an Vernehmlassungen. Das hat damit zu tun, dass es schwierig ist, sich einzubringen: Die Vernehmlassungen sind heute nicht besonders zugänglich und es ist recht aufwändig, dem entsprechenden Departement einen Brief mit seinen Anliegen zu schreiben. Hier könnte eine digitale Plattform den Prozess zumindest auch für kleinere Interessensgruppen öffnen und mehr Transparenz herstellen.

4) Was meint BR Cassis, wenn er von «Digitaler Gouvernanz» spricht?

Der Terminus der «digitalen Gouvernanz» ist vom Begriff der «globalen Gouvernanz» abgeleitet. Also der Frage, wie Institutionen und Prozesse auf globaler Ebene aufgestellt sein sollen. Dazu gehört auch die sogenannte «Internet Gouvernanz». Diese stellt sich grob gesagt die Frage: Wer regiert eigentlich das Internet? Sehr verkürzt ist das heute mit der ICANN (Internet Corporation for Assigned Names and Numbers) eine NGO und die meisten Beobachter sind sich einig, dass das auch so bleiben soll. Staaten wie China oder Russland sehen das jedoch ganz anders und hätten lieber die Nationalstaaten an den Schalthebeln.

Cassis fragt sich jetzt, ob nicht über das Internet hinaus neue technische Entwicklungen vielleicht globaler Regulatorien bedürfen. Er nennt die künstliche Intelligenz und BigData, könnte aber auch die digitale Kriegsführung oder Roboter ansprechen. Wenn es darum geht, das internationale Genf auch für die Zukunft gut zu positionieren, muss die Schweiz aufzeigen, dass sie in diesen Themen kompetent ist. Dass sie also nicht nur «global Governance» , sondern auch «digital Governance» kann.

Das Buch «Agenda für eine digitale Demokratie» von Maximilian Stern und Daniel Graf erscheint am 30. Mai 2018 im NZZ Libro Verlag und ist auch als E-Book erhältlich. Mehr Infos und Bestellung hier.