ECOPOP: Ameisen statt fremde Menschen – Biologe statt Eidgenosse

Migration

Wer als Schweizer die Überbevölkerung als Hauptproblem der Welt identifiziert, handelt nicht wie ein Fremdenfeind, sondern wie ein Biologe, der glaubt er analysiere die Welt der Ameisen, die nichts mit ihm und seinen Privilegien zu tun hat.

Blogreihe zur Ecopop-Initiative

Dieser Beitrag ist Teil einer Blogreihe zur bevorstehenden Volksabstimmung über die Ecopop-Initiative. Diese Blogreihe analysiert im Hinblick auf den 30. November das Argumentarium der Initianten und reflektiert über potentielle Folgen einer Annahme der Initiative.

ECOPOP-Befürworter stellen sich über andere Menschen, nicht indem sie die schweizerische Eigenart zelebrieren, sondern indem sie die schweizerischen Privilegien und die damit verbundene Verantwortung unterschlagen. Sie holen Punkte bei Naturwissenschaftler weil sie die neutral wirkende Position des Forschers einnehmen. Diese überdeckt keine Fremdenfeindlichkeit, sondern einen Ethnozentrismus, welcher die Welt aus Sicht der Privilegierten rationalisiert.

Stolzer Eidgenosse

Die Fremdenfeindlichkeit, die wir uns in der Diskussion rund um die Einwanderung in der Schweiz gewöhnt sind, basiert auf der Differenzierung von Menschen. Menschen werden gemäss Hautfarbe, Herkunft, Nationalität oder Religion in „uns“ und die „Anderen“ eingeteilt. Fremdenfeindlichkeit ist deshalb so verbreitet, weil man dabei als Schweizer, als „Eidgenosse“ gut wegkommt. Wird der Ausländer, wie bei der Ausschaffungsinitiative, als Verbrecher und Vergewaltiger dargestellt, so erscheinen wir Schweizer als die Rechtschaffenen.

„Objektiver“ Wissenschaftler

Die Logik hinter ECOPOP ist eine andere. Der ECOPOPer schwingt keine Stammtischreden, sondern hält akademische Vorträge, er spricht von Überbevölkerung, nicht von Überfremdung und er zählt in seiner Milchbuchrechnung jeden Menschen gleich, egal von welchem Kulturkreis. Die wissenschaftliche Basis für die Argumentation von ECOPOP liefert die Formel I=P * A * T, die besagt, dass sich die ökologische Einwirkung des Menschen (I) basierend auf der Multiplikation der Bevölkerungsgrösse (P), des Wohlstands pro Kopf (A) sowie des technologischen Fortschritts (T) berechnen lässt. Hier wird der Mensch nicht nach Qualitäten eingeteilt und bewertet, sondern der Mensch wird quantifiziert, er verkommt zur Zahl, zur Variable P. Es ist diese Quantifizierung des Menschen, welche es dem ECOPOPer erlaubt, selbst Abstand zu nehmen und die Rolle des Beobachters einzunehmen. Man selbst ist kein Schweizer mit einem gigantischen ökologischen Fussabdruck sondern ein völlig neutraler Verwalter von ökologischen Räumen (sei es der Schweiz oder der Welt), in welchen die Anzahl Menschen sowie die Anzahl Wildtiere verwaltet werden muss.

Die Analogie zu Wildtieren ist deshalb nicht so falsch, weil die Sicht von ECOPOP sehr gut in die Welt der Natur und der Naturwissenschaften passt und sehr schlecht in die Welt der Menschen und Sozialwissenschaften. Es überrascht nicht, dass sich viele Naturwissenschaftler, darunter auch zwei ehemalige ETH Professoren (siehe Initiativkomitee) von der Initiative angesprochen fühlen. Während sich nämlich Naturwissenschaftler sehr gut als Beobachter einer externen Welt verstehen können, so sind sich Sozialwissenschaftler bewusst, dass sie selbst Teil sind der beobachteten sozialen Welt: Ihre soziale Position beeinflusst ihre Sichtweise, so wie auch die Reaktionen auf ihre Vorschläge.

Ethnozentrismus und Privilegien

Die Attraktivität und Gefährlichkeit ECOPOPs liegt in ihrer naturwissenschaftlich inspirierten Unterschlagung und nicht an der Überhöhung (siehe Fremdenfeindlichkeit) der eigenen sozialen Position. Die wissenschaftliche Argumentation täuscht (sich selbst) eine Neutralität vor, die so lange hält, bis man merkt von wem sie vorgetragen wird und an wen sie gerichtet ist. Der Ethnozentrismus von ECOPOP setzt die eigene Gruppe, die Schweizer, ins Zentrum; nicht indem er sie für besser erklärt, sondern indem er aus ihrer Perspektive die Welt rationalisiert und dabei die eigenen Privilegien und die eigene Verantwortung unterschlägt:

  • Nur wer selbst bereits die privilegierte Nationalität besitzt, mit welcher alle Grenzen offen stehen, kann wie ECOPOP auf ihrer Webseite behaupten, „[dass] die Nationalität bei der Zuwanderungsbilanz keine Rolle [spielt]“.
  • Nur wer selbst zu dem kolonisierenden Kontinent gehört und nicht zu den kolonisierten, kann behaupten es sei unproblematisch die Familienplanung nur bei kolonisierten Völkern zu fördern, explizit mit dem Ziel die dortige Bevölkerung zu reduzieren.
  • Nur wer selbst schon im Wohlstand lebt, kann dem „Anderen“ ganz nüchtern und aus ökologischen Gründen das Recht auf Entwicklung und Wohlstand absprechen. So argumentiert ECOPOP auf ihrer Webseite: „Mit der Migration in die Schweiz erhöht sich deshalb im Allgemeinen die reale Kaufkraft der Betroffenen stark, was sich in einem höheren Konsum und einer entsprechend höheren ökologischen Belastung äussert.“ ECOPOP fürchtet die Einwanderer also nicht deshalb, weil sie anders und fremd sind, sondern weil sie so werden könnten wie wir.
  • Nur wer seine eigenen Privilegien und seinen eigenen ökologischen Fussabdruck (Variable A) nicht wahrnimmt, erlaubt es sich die Bevölkerungsvariable P, welche einem selbst nicht betrifft, in den Vordergrund zu rücken.

Wer ECOPOP unter der Lupe der Fremdenfeindlichkeit betrachtet, übersieht einen vom naturwissenschaftlichen Denken inspirierten Ethnozentrismus, dessen Verfechter sich als Biologen einem Ameisenhaufen annehmen, auf dem sie eigentlich selbst krabbeln.