Erstes Urteil am ICC und viel Aufmerksamkeit für Kony: Ein dunkler Tag für Kriegsverbrecher?

Völkerrecht

Von Antoine Schnegg – Am 14. März 2012 hat die Trial Chamber I des Internationalen Strafgerichtshof den Kongolesischen Rebellenführer Thomas Lubanga Dyilo der Rekrutierung von Kindersoldaten für schuldig befunden. Somit wurde erstinstanzlich festgehalten, dass sich Lubanga der Begehung von Kriegsverbrechen mitschuldig gemacht hat. In einem anderen Kontext wird über soziale Medien die Aufmerksamkeit auf den Kriegsverbrecher Joseph Kony gelenkt. Erfahren die Internationale Strafjustiz und der junge Internationale Strafgerichtshof dadurch Aufwind?

Das Urteil vom 14. März hat etwas Historisches. Schon allein durch die Tatsache, dass es das erste Urteil des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) ist, wird nun festgestellt, dass dieser funktioniert und vor allem seine Funktion wahrnimmt. Es kann jedoch durchaus behauptet werden, dass dieses Urteil eine Zangengeburt war. Beinahe wurde das Verfahren gegen Lubanga eingestellt, da das Gericht bei der Anklage schwerwiegende Verfahrensmängel feststellte. Insbesondere wurden durch die Anklage entlastende Dokumente nicht zur Verfügung gestellt und Beweismittel der Verteidigung nicht mitgeteilt. Nachdem die Anklage ihre Fehler korrigierte, stand in den Augen der Berufungskammer einer Weiterführung des Prozesses nichts mehr im Wege. Es erstaunt sodann nicht, dass Lubanga „nur“ für die Rekrutierung von Kindersoldaten zur Verantwortung gezogen werden soll. Nichtregierungsorganisation werfen dem Rebellenführer die Begehung weiterer Verbrechen vor. So soll Lubanga für schwerwiegende Sexual- und Gewaltdelikte (mit-)verantwortlich sein. Dadurch, dass die Ressourcen der Anklage sehr beschränkt sind, hat sich diese auf den Vorwurf der Rekrutierung von Kindersoldaten konzentriert.

Der Einwand, dass durch diese Strategie die Glaubwürdigkeit des Gerichts gefährdet ist, kann geltend gemacht werden. In den Augen der Opfer des Rebellenführers, welche durch das Gericht nicht als solche anerkennt werden, vermag dieses zu einem machtlosen Instrument verkommen zu sein. Urteile der Internationalen Strafjustiz verfolgen jedoch primär andere Funktionen als Individualvergeltung. Vielmehr geht es hier um Generalprävention und Versöhnung von Konfliktparteien. Was letzteres angeht, so ist es im jetzigen Stadium schwierig, den Erfolg abzuschätzen. Jedoch ist erwiesen, dass sich die Ugandische Lord’s Resistance Army (LRA) von Joseph Kony im Jahr 2008, insbesondere auf den durch die Anklage des ICCs entstandenen Druck bereit erklärte, an Friedensverhandlungen mit der Ugandischen Regierung teilzunehmen. Leider waren diese Bemühungen nicht von Erfolg gekrönt und die LRA ist für die Verübung von weiteren Gräueltaten in den Folgejahren verantwortlich.

Digitale Hetzjagd auf Joseph Kony?

In den letzten Tagen machte eine Videobotschaft der Organisation Invisible Children auf die angebliche Tatsache aufmerksam, dass Joseph Kony (welcher seit 2005 vom ICC per Haftbefehl gesucht wird) noch immer im Grenzgebiet zwischen Uganda und dem Sudan aktiv ist. Invisible Children sah sich sehr schnell mit Kritik konfrontiert. Zum einen wird die grosse Kommerzialisierung angeprangert, zum anderen wird darauf hingewiesen, dass das verbreitete Video mit dem Titel „Kony 2012“ sich nicht unbedingt an Fakten hält. Tatsächlich herrscht im Norden Ugandas seit Jahren ein mehr oder weniger stabiler Frieden, die LRA ist auf die Nachbarländer Südsudan, die Demokratische Republik Kongo und die Zentralafrikanische Republik ausgewichen. Ferner ist die LRA auf wenige hundert Kämpfer geschrumpft. Dies vor allem dadurch, dass die Ugandische Regierung ein relativ erfolgreiches Amnestieprogramm für ehemalige Rebellen betreibt, welches eine Wiedereingliederung solcher in die Gesellschaft ermöglicht.

Obwohl die Videobotschaft „Kony 2012“ nicht über die wahren Verhältnisse berichtet (und vermutlich einiges dazu dichtet) und die Organisation, welche dahinter steht, unter Umständen nicht die Kriterien erfüllt, welche allgemein von Menschenrechtsorganisationen erwartet werden, hat „Kony 2012“ einen wichtigen Beitrag geleistet: Menschen (und vor allem jüngere Menschen) sind durch diese Videobotschaft auf den Konflikt aufmerksam geworden. Im Licht der Unruhen in Libyen und Syrien gehen die Zentralafrikanischen Konflikte (zu) oft vergessen. Es darf nicht mehr vorkommen, dass die Zivilgesellschaft die Augen vor Konflikten wie in Ruanda (1994) und in der Demokratischen Republik Kongo (1997 und 2002) die Augen verschliesst.

ICC und Zivilgesellschaft Hand in Hand

Sowohl der ICC als auch die Videobotschaft „Kony 2012“ leisten diesen wichtigen Beitrag. Jedoch muss erwähnt werden, dass die Ziele von Invisible Children nicht unbedingt mit den Zielen des ICCs übereinstimmen. So wird in „Kony 2012“ die ambivalente Haltung der USA zum ICC nicht thematisiert. Es gibt also noch viel zu tun. So muss die Zivilgesellschaft vermehrt auf andere Verbrecher aufmerksam gemacht werden, damit die Internationale Strafjustiz zu einem mächtigen Instrument wird, welches in der Gesellschaft besser verankert ist. Diesbezüglich ist es erschreckend, dass der Sudanesische Präsident Omar Al-Bashir sich mit dem Genozidvorwurf konfrontiert sieht und dennoch mehr oder weniger frei reisen kann. Wer weiss, vielleicht erscheint nächstes Jahr auf Facebook die Videobotschaft „Al-Bashir 2013“. Eine solche periodische Bekämpfung schwerster Verbrechen wäre wirklich wünschenswert, ob jedoch punktuelle Internetaktionen einen reellen Beitrag zur Stärkung des ICC leisten, sei dahingestellt.

Antoine Schnegg ist Jurist und Doktorand am Institut für Völkerrecht und ausländischem Verfassungsrecht der Universität Zürich.

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