Frischer Wind oder Sturm über Kosovo? Teil 2: Fahrt ins Ungewisse

Europa

Die alte Parteigarde der Kriegsfürsten und Akademiker wurde bei der jüngsten Parlamentswahl in Kosovo böse abgestraft. Die spektakulärsten Gewinne erzielte die linksnationalistische Oppositionspartei Vetevendosje! (Selbstbestimmung!). Frischer Wind täte der Politlandschaft gut, findet ein junger Luftfahrtexperte* zum Erfolg von Vetevendosje! (VV). «Sie sollen auch mal versuchen zu regieren, vielleicht machen sie es ja tatsächlich am besten.» Doch wie stehen die Chancen, dass Albin Kurti und seine rebellischen ParteigenossInnen Teil der Regierung werden?

Analysten in und rund um Kosovo, scheinen sich bei dieser Frage die Haare zu raufen. Auch die Befragten antworteten eher mit Schulterzucken. Denn mit den jetzigen Wahlresultaten ist keine Partei, respektive Koalition, in der Lage, alleine eine Regierung zu bilden – und damit den Premierminister zu nominieren. Und die Partnersuche wird kompliziert: Die LDK will nicht mit der PDK, VV auch nicht, wobei einige PDK-ler würde die VV wohl abziehen wollen, nämlich diejenigen, die gegen das Grenzabkommen mit Montenegro sind. Derweil ist man sich bei der LDK noch nicht sicher, ob man mit der VV möchte – Albin hat ihnen ihrer LAA aber auf jeden Fall mal eine Einladung für eine Koalition zukommen lassen.

Der Künstler* ist überzeugt, dass der jetzige Erfolg von VV bei den WählerInnen, auch PolitikerInnen anderer Parteien motivieren wird, mit VV als Regierungspartner zu liebäugeln. Dass Ramush Haradinaj Premierminister wird, ist also alles andere als sicher. Und hätten die Befragten die Wahl, würden sie auch nicht wollen, dass Ramush aka Rambo Premier würde. Ihr Favorit steht fest: Albin.

Aber egal, wer in der Regierung und wer Premier werde, den Druck der «internationals» bekäme jeder zu spüren, meint der Künstler*. Und ginge es nach dem Supermarktmitarbeiter*, dann kann dieser Druck nicht gross genug sein. «Kosovo ist in einer Notsituation. Die EU muss in Kosovo präsent bleiben, Brüssel muss die Elite in Kosovo stärker kontrollieren und auch mal auf den Tisch hauen.» Dies, um Kosovo endlich auf den richtigen Weg Richtung EU zu bringen. Denn für die Albaner sei klar: «Wir sind Europa! Es gibt keine Alternative zu Europa.»

Diesen Enthusiasmus teilt die EU scheinbar nicht mehr ganz. Paradoxerweise schürt sie damit ihre eigenen Ängste, nämlich jene, um das Aufkeimen von Nationalismus auf dem Balkan und im Falle Kosovos, um das Gespenst Grossalbanien. VV macht kein Geheimnis daraus, dass sie gerne über einen Zusammenschluss von Kosovo und Albanien abstimmen lassen würden. Einige würden die Idee eines Grossalbaniens aus Angst, dass die EU sie fallen liesse, als Alternative in Erwägung ziehen, meint der Künstler*.

Sturmfahrt oder Flaute?

Dem Luftfahrtexperten* jagt Angst ein, dass VV den Dialog mit Serbien ablehnt und nicht vor radikalen Methoden, wie den Einsatz von Tränengas im Parlament zurückschreckt. Die harte Linie gegenüber Serbien findet er aber grundsätzlich gut, wobei wir beim nächsten kritischen Punkt wären. In jedem Falle wird der bereits sehr angeschlagenen Dialog zur Normalisierungen der Beziehungen zwischen Kosovo und Serbien wohl weiter geschwächt beziehungsweise überspannt. Denn würde nicht Albin, sondern Ramush Premierminister werden, würden die Fronten wohl auch nicht weicher. Serbien sieht Haradinaj als Kriegsverbrecher, er die Serben als Feinde.

Das Dilemma der «internationals»: Stets haben sie die mächtigen Herren gestützt und Rechtsstaatlichkeit auch mal gegen Stabilität eingetauscht. Doch wie lange ist diese Strategie noch tragbar, wenn die Stabilitätsgaranten beim Volk so dramatisch an politischer Legitimität einbüssen und womöglich vor dem neuen Spezialgericht zur Aufklärung der Verbrechen der UCK antraben müssen?

Und auch das Grenzabkommen mit Montenegro birgt Spreng- und gleichzeitig Flautenpotenzial. Auch hier sind die Fronten zwischen den Parteien verhärtet. Analysten in und um Kosovo, glauben nicht an einen baldigen Fortschritt in der Causa «demarcation». Die Unterzeichnung eines definitiven Grenzverlaufs, ist jedoch eine der Bedingungen der EU, die Kosovo erfüllen muss, möchte es in den Genuss der Visaliberalisierung kommen. Und was mich als jungen Menschen an dieser Stelle sehr schmerzt: Der Gedanke, dass die Visaliberalisierung nicht so bald kommen könnte.

Für mich gibt es keinen Visumsantrag, wenn ich in europäische Länder reisen möchte, für mich gibt es keine Armut, keine Fluchtgeschichte, keine Tabus aus dem Krieg, keine Korruption und Vetternwirtschaft. Es gibt aber auch keinen Grund, weshalb es all das für mich nicht gibt und für so viele junge Kosovarinnen und Kosovaren schon. Und wenn man gleichzeitig sieht, dass weite Teile der politischen Elite sich die Taschen füllen, ein gutes Leben geniessen, nicht für die Vergangenheit geradestehen und tagtäglich die Zukunft der Jungen in Geiselhaft nehmen, dann weiss man nicht so recht, was noch zu sagen bleibt. Genau diese Elite, mit ihrer immer fortwährenden Korruption, Nationalismus, politischen Grabenkämpfen und dadurch Stillstand ist dafür verantwortlich. Daran werden die Wahlen nichts ändern. Und deshalb mag ich weder an die bevorstehende Regierungsbildung, noch an das, was danach kommen könnte denken: An all die jungen Menschen, die ich in Kosovo getroffen habe, an all die Energie, die Träume und Ideen, die sie haben. So hoffe ich, dass all das weder unter Tränengas, noch den Federn eines schwarzen Adlers oder den Scheinen angehäufter Schmiergelder erstickt wird.

*Für diese beiden Blogbeiträge hat Aleksandra Hiltmann mit drei Albanern in der Schweiz gesprochen: einem Künstler, einem Luftfahrtexperten und einem Supermarktmitarbeiter. Sie sind zwischen 27 und 50 Jahre alt. Der Künstler lebt seit zwei Jahren in der Schweiz, der Luftfahrtexperte ist hier aufgewachsen, und der Supermarktmitarbeiter ist vor ungefähr 20 Jahren als politischer Flüchtling in die Schweiz gekommen. Es ist Zufall, dass keine Frau unter den Befragten ist – die Zeit war knapp.