Marschhalt! – Wieso die Reform des Initiativrechts neu aufgegleist werden sollte

Völkerrecht

Von David Suter Momentan werden verschiedene Themen mit Bezug auf die Verfassung in getrennten Dossiers vermischt diskutiert, ohne dass sich die politischen Akteure der Querbeziehungen bewusst wären. Die Reform des Initiativrechts wäre thematisch bei der Ausweitung der Verfassungsgerichtsbarkeit besser aufgehoben als bei der Diskussion Landesrecht-Völkerrecht.

Ausgangslage

Die Verfassungsrevision 2000 und die Justizreform 2004 haben zwei Probleme liegen lassen: Eine Verfassungsgerichtsbarkeit konnte nicht eingeführt werden, und das Verhältnis des Schweizer Landesrechts zum Völkerrecht ist nach wie vor ungeklärt. Mit der Zunahme und insbesondere der Annahme von Volksinitiativen, die bewusst Völkerrecht und Grundrechte der Verfassung ritzen, ist in den letzten Jahren ein drittes Problem hinzugekommen, das aufgrund einer Verkettung unglücklicher Umstände nun an ungeeigneter Stelle diskutiert wird.

Schlingerkurs der Diskussion

Mit dem Postulat 07.3764 beauftragte die RK-SR den Bundesrat, einen Bericht über das Verhältnis von Landesrecht und Völkerrecht auszuarbeiten. Diese sachliche Reinheit wurde zunichte gemacht mit dem Postulat 08.3765 der SPK-NR, die den Bericht des Bundesrates im Huckepackverfahren erweiterte um die Fragestellung, wie problematische Initiativen in den Griff zu kriegen seien. Als der Bericht am 5. März 2010 erschien, lag der Fokus der Öffentlichkeit vor allem auf dem neuen Thema, und dem Bundesrat, der sich in seinem Bericht auch an das ursprüngliche Mandat hielt, wurde unfairerweise vorgeworfen, sich um die heiklen Fragen zu drücken. Ein nachgeforderter Zusatzbericht vom 30. März 2011 bediente das Bedürfnis nach Reformvorschlägen, und so wird im Parlament nun lebhaft über einen «Warnhinweis» für problematische Initiativen und den «Kerngehalt der Grundrechte» diskutiert (vgl. die Motionen 11.3468 SPK-NR und 11.3751 SPK-SR). Die ursprünglichen Thematik Landesrecht-Völkerrecht war damit endgültig als Ausgangspunkt der Volksrechtsdebatte zementiert. Dabei ginge es auch anders.

Verfassungsgerichtsbarkeit

Die Diskussion um die Verfassungsgerichtsbarkeit verlief demgegenüber unspektakulär und losgelöst von den beiden anderen Problemkreisen. Ausgehend von den parlamentarischen Initiativen 05.445 und 07.476 liegt inzwischen der Vorschlag vor, Artikel 190 BV zu streichen, der Bundesgesetze und Völkerrecht als für die rechtsanwendenden Behörden massgebend erklärt. Aber auch die Neubelebung der Diskussion um die Verfassungsgerichtsbarkeit hat ihre Wurzeln in problematischen Initiativen. Denn vielen Befürwortern liegt vor allem ein erweiterter Grundrechtsschutz am Herzen; dies ist geradezu der Leitgedanke in der Begründung des Vorstosses 07.476. Nun bewirken aber Volksinitiativen gerade eine Änderung der Verfassung. Eine Ausweitung der Verfassungsgerichtsbarkeit könnte so im schlimmsten Fall die Problematik grundrechtswidriger Volksinitiativen sogar noch akzentuieren.

Konfliktnorm als Lösung

Die Lösung ist denkbar einfach und wurde z.T. auch in der Vernehmlassung erkannt: Auch die Verfassung hat sich an die Grundrechte zu halten. Mit einer über der Verfassung stehenden Grundrechtsgerichtsbarkeit könnten problematische Initiativen im Anwendungsfall auf ihre Übereinstimmung mit den Grundrechten geprüft werden. foraus machte in einer Studie vom April dieses Jahres erstmals auf diesen eleganten Weg aufmerksam. Der Reform des Initiativrechts wäre damit der leidige Mühlstein des Völkerrechts vom Hals genommen, und das Verhältnis des Landesrechts zum Völkerrecht könnte seinerseits, von der emotionalen Diskussion um die Reform der Volksrechte entschlackt, entspannter und umfassender geklärt werden.

David Suter, lic. iur., ist Doktorand am Zürcher Institut für Völkerrecht und Mitglied der foraus-Arbeitsgruppe Völkerrecht.

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