Abhöraktionen, Demonstrationen, Repression: Mazedonien erlebt zurzeit einen Regierungsskandal unerhörten Ausmasses. Gleichzeitig schwelen ethnische Konflikte. Und dass Russland eine Pipeline durch das Land bauen will, beruhigt die Situation nicht. Die EU darf sich nicht auf ihrem neuesten Vermittlungserfolg ausruhen.
Die Sonne brennt auf dem zentralen Mazedonien-Platz im Herzen Skopjes, der umsäumt wird von prächtigen neue Repräsentativbauten: Ministerien, Museen, Brücken, Denkmäler – allesamt in einem eklektischen, neobarockartigen Stil, den man mit Recht als mazedonischen Kulturprotz bezeichnen darf. Ein zweifelhafter Versuch, mittels nationalistischem Kitsch staatliche Identitätsförderung zu betreiben. Eine architektonische Geschmacklosigkeit, die deutlich zeigt wie sich die gegenwärtige Regierung diese Identität vorstellt: Ethnische Minderheiten kommen kaum vor, die sozialistische Vergangenheit ebensowenig.
Auch der Palast des Premierministers sieht so aus, als wäre er im 19. Jahrhundert erbaut worden. In der Tat wurde auch er eben gerade fertiggestellt. Und obwohl er nun weisser als das Weisse Haus strahlt, ist die Aussicht getrübt: Auf der Strasse vor dem Regierungssitz campiert seit über fünfzig Tagen eine kunterbunte Koalition von Regierungsgegnern. Stefan Bogoev, Präsident der Sozialdemokratischen Jugendorganisation und Parlamentarier, macht klar: „Wir gehen erst, wenn der Premier geht.“
Der Grund für den Protest: Der Opposition wurde Anfangs Jahr umfangreiches Material zugespielt, welches dokumentieren soll wie tausende von Oppositionellen, Botschafter, Medienschaffende, etc. abgehört wurden. Nach und nach veröffentlichte sie Protokolle und Aufzeichnungen der Abhöraktion, in denen munter über Bestechungen, Druckausübungen, Wahlmanipulationen und andere illegale Machenschaften geplaudert wurde – unter hohen und höchsten Exponenten. Zoran Zaev, der Präsident der Sozialdemokratischen Partei fordert darum immer lauter den Rücktritt von Premier Nikola Gruevski. Eine Forderung, der sich mittlerweile diverse andere Gruppierungen angeschlossen haben. In der Hitze des glühenden Asphalts sitzen sie vor dem Palast der Regierung und zelten.
Mit der Artillerie
Als sich vor zwei Monaten die mazedonische Polizei eine zweitätige Schlacht mit ethnisch albanischen Kämpfern in der Kleinstadt Kumanovo lieferte (und dabei auch Artillerie einsetzte), kam der Verdacht auf, die Regierung wolle damit vom Abhörskandal ablenken und zugleich einen ethnischen Konflikt befeuern. In Anbetracht der möglichen Eskalation wurde die EU aktiv: Unter der Vermittlung von Erweiterungskommissar Johannes Hahn konnten sich Regierungspartei und Opposition im Grundsatz auf Neuwahlen Anfang 2016 einigen. Am 9. Juli jedoch liess Sozialdemokrat Zaev die Verhandlungen platzen, weil Gruevski sich weigerte mindestens sechs Monate vor der Wahl zurückzutreten und diese durch eine technokratische Übergangsregierung vorbereiten zu lassen. Nun scheint man in letzter Minute doch noch eine Einigung gefunden zu haben. Kurz nach Mitternacht am 15. Juli verkündete Hahn: „This is an important step in overcoming the current crisis and towards addressing key challenges facing the country.“
Rücktritt des Premiers, Neuwahlen, ein Sonderermittler für den Abhörskandal und ein Bekenntnis zur Euro-Atlantischen Integration: Wer Mazedonien kennt, bleibt skeptisch. Denn eine ähnliche Einigung zwischen den zerstrittenen Parteien hatte die EU bereits 2013 erzielt, mit eher zweifelhaftem Erfolg. Zudem handelt es sich beim Abhörskandal kaum um das einzige Problem des Landes.
Putins Piplineprojekt
Mit einer Arbeitslosenquote von knapp 30 Prozent, und einem Durchschnittslohn von 350 Euro scheint Mazedonien zuweilen trotz all den Blicken auf das untere Ende des Balkans vergessen zu gehen. Aber Europa sollte sich hüten, das Land zu vergessen – denn ansonsten springt Russland gerne ein. Für das Pipelineprojekt „Turkish Stream“ , das von der Türkei über Griechenland, Mazedonien und Serbien in die EU führt, kommt Putin eine Regierung mit autoritären Tendenzen gerade recht. Sein Botschafter nimmt diese in Schutz und wirft dem Westen vor, den gesamten Abhörskandal selbst produziert zu haben.
Noch vergessener als Mazedonien selbst ist seine Rolle als Flüchtlingsroute von Griechenland nach Ungarn. Hunderte von Syrern, Irakern und Afghanen queren täglich das Land, mittlerweile gerne auf Fahrrädern, die findige Mazedonier ihnen verleihen (beeindruckende Bilder einer ungewöhnlichen Fahrradtour).
Es gibt nicht nur Griechenland
Europa darf neben den Krisen um Griechenland und die Ukraine periphere Staaten wie Mazedonien nicht vernachlässigen. Es könnte verlockend erscheinen, zwei Augen zuzudrücken – einige ökonomische Indikatoren sind weniger miserabel als in den Nachbarstaaten (Inflation, Staatsverschuldung, Wachstum) – aber mit dieser Strategie ist eine Eskalation des Konfliktes mit verheerenden Auswirkungen für die Bevölkerung des Landes und möglicherweise sogar den Balkan vorprogrammiert. Man darf nämlich nicht vergessen dass die Region vor nur zwei Jahrzehnten einen Bürgerkrieg gekämpft hat und der Mehrvölkercharakter des Balkans immer noch Spannungen erzeugt in den jungen Staaten des ehemaligen Jugoslawiens.
Was Mazedonien braucht ist nicht nationalistische Propaganda geführt von einem autoritären Kontrollstaat, sondern den Druck von Aussen um ein System zu überwinden, das auf Klientelismus und der nachhaltigen Verletzung von Menschenrechten fundiert. Die EU darf sich nun nicht auf ihrem Vermittlungserfolg ausruhen, sondern sie muss die Umsetzung des Abkommens zwischen den politischen Akteuren im Land eng begleiten. Ob sie dazu in der Lage ist, wird sich bereits im September am High Level Accession Dialogue zeigen, wenn einmal mehr darüber beraten wird, ob Beitrittsgverhandlungen mit Mazedonien aufgenommen werden sollen.