Nach dem Frühling: Neue Realitäten in Nordafrika und die Konsequenzen für die internationale Entwicklungszusammenarbeit

Entwicklungspolitik

Von Luca Etter – Die Neuverteilung der Macht in Nordafrika stellt für die Akteure der internationalen Entwicklungszusammenarbeit eine grosse Herausforderung dar. Der Erfolg des neuen Nordafrika wird auch davon abhängen, ob die internationale Gemeinschaft die neuen Realitäten in der Region versteht und damit umzugehen weiss.

Der Weg zur Demokratie ist lang und voller Komplikationen

Kaum sind die Regime in Tunesien und Ägypten gefallen, haben die Schweiz, die EU, sowie multilaterale Organisationen wie die Weltbank Milliardenhilfen versprochen, um beim Aufbau der Demokratie in Nordafrika mitzuhelfen. Dies ist sicher richtig und auch notwendig – birgt aber auch Gefahren, denn Regimewechsel und Demokratisierungsprozesse gestalten sich in der Regel langwierig und kompliziert. Erstens haben die Erfahrungen im Irak und in Afghanistan schmerzhaft aufgezeigt, dass vom Westen aufgedrängtes Democracy Building zwar zu Wahlen, nicht aber zu einer nachhaltigen Demokratie führt. Zweitens hat sich in den vergangenen Jahrzehnten Demokratie vor allem dort durchgesetzt, wo wenig oder kaum Druck von Aussen bestand und sich Parteien, Institutionen und Prozesse organisch entwickelten, wie beispielsweise in Südkorea, Taiwan oder Mexiko. Drittens gilt es zu bedenken, dass Demokratisierungsprozesse vielschichtig sind und mehr umfassen als bloss die freie Wahl eines Staatsoberhauptes oder das Bestehen mehr als nur einer Partei. Es wird vor allem auch darum gehen, Ministerien, Sicherheitskräfte und Justiz von Altlasten der vorhergehenden Regime zu befreien.

Neue (Nichtregierungs)Akteure betreten die Bühne

Die Regime von Hosni Mubarak und Zine el-Abidine Ben Ali waren einerseits synonym für Intransparenz, Vetternwirtschaft und Korruption, andererseits aber auch bemerkenswert berechenbar und stabil. Diese Stabilität in den Maghreb-Ländern kam manchen Akteuren der Entwicklungszusammenarbeit entgegen, da sie dadurch über Jahre hinweg dieselben Ansprechpartner in der Regierung hatten und Projekte nicht so stark politischen Veränderungen ausgesetzt waren.

Diese Zeiten sind glücklicherweise vorbei und die internationalen Partner müssen sich dieser neuen Situation anpassen. Die Arbeit in Nordafrika wird facettenreicher und unberechenbarer, gerade auch weil eine Anzahl neuer Akteure die Bühne betreten wird, allen voran NGOs, welche unter Ben Ali inexistent waren und unter Mubarak kaum Einfluss hatten. Im neuen Nordafrika werden sie vehement ihren Raum einfordern und aktiv am politischen Prozess teilhaben wollen. Die internationale Gemeinschaft muss dem Rechnung tragen, indem sie die neuen Akteure einspannt, ihnen zuhört und mit ihnen gemeinsam versucht ihre Ziele zu erreichen.

Den politischen Reformen müssen wirtschaftliche folgen

So gross die Freude über politische Reformen in Ägypten und Tunesien auch ist, es darf nicht vergessen werden, dass wirtschaftliche Missstände die Proteste auslösten. Wer auch immer die neuen Machthaber in Nordafrika sein werden, sie werden nicht darum herumkommen einschneidende wirtschaftliche Reformen einzuleiten und dabei auch einige heilige Kühe anzufassen.

Zum einen muss es zu einem Umdenken in der Sozialpolitik kommen. Sämtliche Länder des Maghreb geben einen beträchtlichen Teil ihrer Staatsausgaben für Subventionen aus, meistens für Öl und Nahrungsmittel. Vor allem die Erdölsubventionen werden fast vollständig von der Ober- und Mittelschicht absorbiert und dienen kaum der Armutsbekämpfung.  Zum anderen braucht es Reformen des Arbeitsmarktes hin zu einem System, in dem Jobs nicht durch Beziehungen, sondern durch Leistung vergeben werden. Dies betrifft bei weitem nicht nur den notorisch korrupten öffentlichen Sektor, sondern auch den Privatsektor, wo Firmen und Unternehmer oftmals darauf bedacht waren, sich selbst möglichst vor Konkurrenz zu schützen, statt sich im Wettbewerb zu behaupten.

Die internationale Gemeinschaft hat grosses Interesse daran, dass diese Reformen umfassend, durchdacht und nachhaltig gestaltet werden. Sie sollte sich deshalb aktiv einbringen und die wirtschaftlichen Reformen von den neuen Regierungen fordern und sie dabei unterstützen. Denn ohne die dringend notwendigen Jobs, vor allem für die Jugend, wird es bis zum nächsten Frühling nicht wieder 30 Jahre dauern.

Luca Etter studiert Public Policy an der Georgetown Univeristy in Washington, DC und hat einen BA in Internationalen Beziehungen der Universität St.Gallen. Er hat während zweienhalb Jahren für die Weltbank in Nordafrika gearbeitet, vor allem in den Bereichen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik.

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