Pfusch am Bau: Warum unsere Europa-Diskussion nicht zielführend ist

Europa

Von Maximilian Stern – Die Schweizerische Debatte um unser Verhältnis zum umliegenden Europa geilt sich an der quasi-religiösen Frage um ein institutionelles Dach auf. Die rituelle Wiederholung der Schlagwörter EU, EWR und Souveränität zeigen es. Stattdessen sollten wir zwanzig Jahre nach dem EWR-Nein endlich über Inhalte reden.

Wer ein Haus baut, plant es vorab. Braucht es eine Doppelgarage? Einen Aussichtsturm? Einen Atombunker? Ein Minarett? Diese Fragen kann aber nur beantworten, wer die Bedürfnisse der künftigen Hausbewohner kennt. Es sind ihre Ziele, ihre Ansprüche, ihre Wertehaltung, die den Ausbau vorgeben.

Wer eine Aussenpolitik konzipiert, muss ebenfalls vorab nach den Bedürfnissen der eigenen Gesellschaft fragen. Nach ihren Zielen, ihren Ansprüchen, ihren Werten. Erst dann kann er bestimmen, welche Beziehungen zu den anderen Staaten oder Staatengemeinschaften das Land anstreben muss, um erfolgreich arbeiten, wirtschaften und leben zu können.

Form vor Funktion

Die Schweizerische Europadiskussion hingegen sattelt seit 1992 das Pferd von hinten auf: Brauchen wir einen EWR? Einen EWR Plus oder Minus? Einen EU-Beitritt? Einen Isolationskurs? Bilaterale? Auf dieser Ebene findet die Debatte hierzulande statt – sie stellt die Werkzeuge vor das Werk, die Verpackung vor den Inhalt.

Stattdessen müsste sich der Diskurs vorab um die Bedürfnisse der Menschen und die Herausforderungen für die hiesige Gesellschaft kümmern: Der Atomausstieg erfordert eine Energiestrategie, die Zuwanderung eine Migrationsstrategie, der Verkehr eine Mobilitätsstrategie, die Verteidigung eine Sicherheitsstrategie, die Umwelt eine Klimastrategie, die Aufzählung liesse sich beliebig fortsetzen – alles Themen die in einem vernetzten Europa kein Staat mehr alleine lösen kann.

Über die Antworten auf diese Fragen in den einzelnen Dossiers muss die Schweiz diskutieren: Will sie nach dem Atomausstieg Nuklearstrom importieren? Wie geht sie mit der Migration aus Drittstaaten um? Wie stellt sie einen Anschluss an das Europäische Verkehrsnetz sicher? Wo kauft sie Rüstungsgüter ein? Welche CO2-Verpflichtungen geht sie ein? Darüber brauchen wir harte und mühsame, manchmal technische Diskussionen.

Mindestmass an Ergebnisoffenheit

Wenn wir uns für diese Herausforderungen Strategien zurechtgelegt haben, müssen wir den quasi-religiösen Fanatismus, mit dem wir gerne unsere Europadebatte führen, beiseite legen und pragmatisch entscheiden: Welches institutionelle Dach kann unsere Strategie vor dem sauren Regen des globalen Machtgefüges beschützen, der sie aufweicht und verwischt? Dieses Mindestmass an Ergebnisoffenheit müssen wir einer für das Land essentiellen Frage wie derjenigen nach unserem Verhältnis zu Europa entgegenbringen – alle Alternativen bedeuten teuren Pfusch am Bau.

Maximilian Stern, ist ehemaliger Geschäftsführer von foraus – Forum Aussenpolitik und lebt in Zürich. Er hat an den Universitäten Zürich und München Politikwissenschaft, Volkswirtschaft und Europarecht studiert.

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