Rüstungsdeal in Kriegszeiten? Das 90 Millionen Geschäft mit Russland

Frieden & Sicherheit

Trotz vieler Beweise für eine aktive Rolle der russischen Armee im Krieg in der Ostukraine liefert eine Schweizer Firma Hightech-Tarnmaterial nach Russland. Rechtlich ist das Geschäft zwar korrekt verlaufen, politisch ist es jedoch äusserst fragwürdig.

Die Sonntagspresse hat es aufgedeckt: Mitten in der Ukraine-Krise schliesst die Schweiz mit Russland einen Rüstungsdeal über 90 Millionen Franken ab. Es handelt sich dabei um „bedrucktes Spezialgewebe mit Signaturunterdrückung“, ein Hightech-Material welches vor allem zur Tarnung von Soldaten und militärischen Gerät dient, da es die Erkennung durch Infrarot- und Nachtsichtgeräte verhindert. Die Schweiz betrachtet dieses Material nicht als Kriegsmaterial, sondern als „besonderes militärisches Gut“. Weder Verkäufer noch Käufer sind bekannt, doch es soll sich auf beiden Seiten um private Unternehmen handeln. Einen Deal in dieser Grössenordnung gab es zwischen der Schweiz und Russland im Rüstungsbereich noch nie.

Theoretisch korrekt gehandelt

Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) bewilligte die Ausfuhr der Ware in zwei Tranchen im Oktober und Dezember 2014. Es mag unpassend anmuten, dass die Schweizer Behörden mitten in der Ukraine-Krise einen Rüstungsdeal mit Russland bewilligen. Rein technisch und administrativ verstösst dieses Geschäft jedoch gegen keine Auflagen. Die Schweiz trägt die von den USA und der EU gegen Russland erhobenen Sanktionen nicht mit, erliess jedoch am 27. August 2014 eine Verordnung zur Vermeidung der Umgehung dieser Sanktionen. Mit dieser Verordnung sind Geschäfte wie dieser Rüstungsdeal nicht mehr erlaubt. Artikel 1 der Verordnung besagt jedoch, dass alle Geschäfte, die vor dem 27. August vertraglich vereinbart wurden, zulässig sind. Dies trifft auf den 90 Millionen-Deal zu, da er angeblich bereits 2013 vereinbart wurde.

Praktische Probleme

Man könnte nun sagen – und einige politische Exponenten in der Schweiz tun dies auch – dass sich diese Geschichte somit erledigt hat. Dem ist mitnichten so. Auch wenn dieses Geschäft rechtlich gesehen gültig ist, so ist es in mehrerlei Hinsicht problematisch. Mittlerweile gibt es eine Vielzahl an Beweisen, die belegen, dass Russland militärisch mit Truppen und schwerem Kriegsgerät in der Ukraine aktiv war – und immer noch ist. Auch wenn Russland dies stets bestreitet, sollten angesichts der gegenwärtigen Lage keine Ausnahmen gemacht werden und keine Rüstungsgeschäfte bewilligt werden. Selbst wenn dies bestimmte Vertreter der eigenen Wirtschaft schmerzt. Bei einem schweizerischen Gesamtexportvolumen nach Russland von über 2.6 Milliarden Franken(Januar-November 2014) sind 90 Millionen wohl verkraftbar. Andere Staaten sind in der gleichen Situation bereit viel grössere Opfer auf sich zu nehmen, wie zum Beispiel Frankreich, welches die Auslieferung zweier Hubschrauberträger im Wert von 1.2 Milliarden Euro bis auf weiteres suspendiert hat.

Dank des neuen Spezialgewebes aus der Schweiz lässt sich die Tarnfähigkeit der russischen Militärunformen signifikant verbessern. (Symbolbild russischer Uniform 2011. Quelle: Wikimedia Commons)

Politische Dimension

Warum also hat die Schweiz dem Export von militärischen Gütern nach Russland zugestimmt? Die Beziehungen der Schweiz zu Russland sind sehr gut: Vor allem im Rohstoffhandel ist die Schweiz sehr eng an Russland angebunden. Aber auch politisch sind die Beziehungen eng, nicht zuletzt dank der Guten Dienste der Schweiz. Wollte man diese Beziehungen nicht aufs Spiel setzen und hat dem Deal aus politischen Überlegungen zugestimmt? Wirtschaftlich gesehen scheint dieser Deal auf jeden Fall unbedeutend, gibt es also politische Gründe dafür?

Dies scheint vordergründig nicht der Fall zu sein. Laut einem Bericht der Aargauer Zeitung beteuert Aussenminister Didier Burkhalter dass er vom Deal nichts wusste. Gleichzeitig bemängelte  er dass die „politische Dimension“ des Deals nicht erkannt wurde. Bundesrat Burkhalter fühlt sich wohl vor die Brust gestossen: Mit grossem persönlichen Aufwand versuchte er letztes Jahr als Vorsitzender der OSZE zwischen den verfeindeten Parteien im Ukraine-Konflikt zu vermitteln und wurde deshalb oftmals von verschiedenen Seiten als parteiisch angeschaut. Er hätte wohl gerne über den Deal Bescheid gewusst.

Interessenkonflikt zwischen Neutralität und Kriegsmaterialexporten

Die Schweizer Behörden machten hier alles richtig und trotzdem vieles falsch. Auch wenn die Schweiz der Neutralität verpflichtet ist, so sollten Geschäfte mit militärischen Gütern mit Ländern, die sich in einem kriegerischen Konflikt befinden, nicht zulässig sein. Betrachtet man den Export von Kriegsmaterial in potentiell kriegführende Staaten im Allgemeinen, so ergibt sich ein grundsätzlicher Interessenkonflikt zwischen der schweizerischen Neutralitätspolitik und dem einseitigen Verkauf von militärischen Gütern. Das Haager Abkommen von 1907, auf das sich die Schweizer Neutralität immer noch stützt, impliziert nicht bloss ein Exportverbot an aktiv kriegsführende Staaten, sondern enthält auch das Gebot der Unparteilichkeit. Liefert man in diesem Kontext Kriegsmaterial an ein Land, das zu einem (oder mehreren) Nachbarland angespannte Beziehungen pflegt, ergreift man damit Partei in einem potentiellen Konflikt, da das relative Kräfteverhältnis zwischen dem waffenkaufenden Staat und dessen möglichem Gegner dadurch zu seinen Gunsten verändert wird. Im Fall von Russland, das seit dem Zerfall der Sowjetunion seinen Einfluss auf die unabhängig gewordenen post-sowjetischen Staaten kontinuierlich aufrecht erhalten hat und wie im August 2008 notfalls auch mit Waffengewalt verteidigt hat, hätte die Schweiz bei einer strengen Auslegung ihres Neutralitätsstatus auch schon vor der Annexion der Krim-Halbinsel und des Ausbruchs der Kämpfe in der Ostukraine auf die Lieferung militärischer Güter verzichten sollen. Strenggenommen sollte bei Kriegsmaterialexporten das Prinzip „ganz oder gar nicht“ gelten, da sonst ein hohes Risiko besteht, dass die Schweiz unterschwellig ihre Unparteilichkeit verliert.

Was bleibt ist die Hoffnung, dass das Tarngewebe nicht schnell genug verarbeitet werden konnte, um es bereits im momentan immer noch schwelenden Ukraine-Krieg einzusetzen.