Schweizer Aussenpolitik: Zwischen Moral und Eigeninteresse

Europa

Von Andreas Schild – Die Schweiz ist mit ihrer Abwartestrategie in der Aussenpolitik bisher gut gefahren. In Zukunft wird diese Strategie die Interessen des Landes aber nicht wahren können.

Die aktuelle Diskussion um die Regulierung von Rohstofffirmen offenbart ein typisch schweizerisches Dilemma: der schwierige aussenpolitische Spagat zwischen Eigennutz und Verantwortung. Auch die Debatten um das Bankgeheimnis oder die Besteuerung von transnational tätigen Unternehmen zeigen, wie schwierig sich Eigeninteresse und Moral verbinden lassen.

Neutralität in der Kritik

Als Kleinstaat ist sich die Schweiz gewohnt, ihre Position behaupten und verteidigen zu müssen. Aussenpolitisch ist das Land traditionell neutral, weil es die nationalen Interessen so gebieten – selbst wenn die Moral verlangt, dass sich die Schweiz engagieren sollte.

Die Neutralität als aussenpolitische Strategie hat sich in der Vergangenheit bewährt, doch wurde das Konzept nach dem zweiten Weltkrieg von aussen zunehmend kritisiert . Neutralität erhielt den Anstrich von Egoismus. Bundesrat Petitpierre versuchte das Image der Schweiz zu verbessern, indem er neben Neutralität, auch Solidarität und Universalität als neue aussenpolitische Maximen formulierte.

Nichtsdestotrotz hat sich das Modell Schweiz als äusserst erfolgreich erwiesen. Und zwar in einem solchen Masse, dass sich gewisse Banken an keine Schranken mehr hielten. Der Finanzplatz fühlte sich von den Politikern gestützt, die lauthals verkündeten, „das Bankgeheimnis ist nicht verhandelbar“. In gewissen Belangen ist die Schweiz ein wirtschaftlicher Riese geworden. Sie gehört zu den weltweit wichtigsten Vermögensverwaltern; die geringe Regelungsdichte und das flexible Steuerwesen haben international hervorragende Rahmenbedingungen geschafft. So wird beispielsweise 25 Prozent des internationalen Rohstoffhandels über die Schweiz abgewickelt.

Wirtschaftlicher Riese, politischer Zwerg

Allerdings hat die Globalisierung neue Rahmenbedingungen geschaffen, die das Modell Schweiz vor neue Herausforderungen stellen:

In wichtigen wirtschaftlichen Bereichen ist die Schweiz heute mehr und mehr isoliert. Dies trifft zu für den Automatischen Informationsaustausch bei Steuergeldern, die Besteuerung von transnational tätigen Unternehmen und auf die Regulierung international tätiger Rohstofffirmen. Es gibt klare Anzeichen dafür, dass die bisherige Strategie des Abwartens unsere Interessen nicht mehr sichern kann – zum Beispiel in der Diskussion um das Bankgeheimnis.

Unsere politische Handlungsfähigkeit ist kleiner geworden. Wir mögen wirtschaftlich ein Riese sein, politisch sind wir ein Zwerg. Die Diskussionen um die „Lex USA“ zeigen, dass unser Parlament überfordert ist.

Unsere Verteidigungslinie ist weitgehend innenpolitisch begründet: Wir berufen uns auf den Rechtsstaat. Da wir es aber selber versäumt haben, den Rechtsstaat an die Bedürfnisse einer globalisierten Welt anzupassen, wirkt dies als Schlaumeierei: Wir profitieren wirtschaftlich von der Globalisierung und bauen politisch ein Reduit auf.

Zwei Optionen – aber keine Wahl

In dieser Situation gibt es nur zwei Alternativen:

Entweder verteidigen wir das Bankgeheimnis, indem wir es mit Rechtsstaatlichkeit gleichsetzen, bewahren zweifelhafte Steuerprivilegien für internationalen Firmen unter Berufung auf den Föderalismus, und verteidigen unsere Arbeitsplätzte im Rohstoffsektor mit dem Argument, dass Korruption und Kinderarbeit Probleme der Abbauländer seien und nicht in unserer Verantwortung stehen.

Oder wir finden Lösungen, die unseren Interessen entsprechen. Wenn wir nicht antizipieren und mitgestalten, werden wir in Haft genommen. Als bedeutende Wirtschaftsmacht können wir immer weniger auf Verbündete zählen. Zu viele beneiden uns; immer mehr Staaten finden, unsere Haltung sei nicht ehrlich oder gar moralisch verwerflich. Schlimmer ist, dass wir unsere eigenen Interessen immer weniger zu verteidigen wissen. „Wait and See“ droht zur Vogel-Strauss-Politik zu verkommen. Wir brauchen eine smarte, vorausschauende und antizipierende Aussenpolitik, die uns hilft, die Risiken zu minimieren und mögliche Fallgruben rechtzeitig zu erkennen. Dafür sind nicht nur die Regierung und das Parlament gefordert. Wir benötigen aktive Universitäten und eine dynamische Zivilgesellschaft. Wir müssen heute mehr Verantwortung übernehmen, damit wir unsere Zukunft besser gestalten und Interessen verteidigen können.

Andreas Schild, Historiker, war in Ländern Asiens Afrikas und Latein Amerikas tätig als Country Representative, Teamleiter und Leiter einer regionalen Organisation. Er lebt in Thun und wurde von foraus eingeladen, eine gekürzte Version seines Blogs als Gastbeitrag auf dem forausblog zu veröffentliche. Die vollständige Version erschien zum ersten Mal auf http//:buergerschild.wordpress.com.

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