Weniger ist mehr: Warum die Schweiz ihre bilaterale Entwicklungszusammenarbeit auf ein einziges Partnerland ausrichten soll

Entwicklungspolitik

Von Mike Bucher – Die Schweiz soll sich in der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit auf ein einziges Partnerland fokussieren. Nur so kann ein überfälliger Paradigmenwechsel endlich erreicht werden.

Mit rund 250 Millionen Franken unterstützt die DEZA jährlich 17 ausgewählte Schwerpunktländer des Südens. Waren es vor einigen Jahren noch 24 Empfängerländer, so werden es ab nächstem Jahr noch deren 12 sein. Bundesrat und Parlament haben erkannt: Die Schweiz muss ihre Anstrengungen fokussieren, soll unsere Hilfe echte Wirkung haben.

Bloss, um diese Wirkung ist es nicht gut bestellt: Während die auf Hochglanzpapier gedruckten Jahresberichte von DEZA, Seco und Co. die Erfolge der bilateralen EZ ins Rampenlicht rücken, sieht die Realität anders aus. Ein Grossteil der Bevölkerungen in den Ländern des Südens lebt in bitterer Armut und ohne jegliche Perspektive auf eine baldige Verbesserung der Situation. Das 50-jährige Jubiläum der DEZA stellt unter diesen Umständen wahrlich kein Grund zum Feiern dar: Trotz guten Ansätzen hat die Politik der Schweiz in ihrer Gesamtheit zum Teil verheerende Auswirkungen auf Entwicklungsländer. Angesichts unserer restriktiven Handelspolitik etwa erscheinen die Anstrengungen in der Entwicklungszusammenarbeit wie ein dürres Feigenblättchen.

Fehlende Identifikation

Die Frage, die sich aufdrängt, muss darum nicht lauten, wie wir dem Süden helfen können, sondern warum wir ihm nicht helfen wollen. Ich vermute, dass die Antwort lautet: Weil uns die Identifikation fehlt. Während die meisten von uns bereit wären, für einen guten Freund das letzte Hemd zu opfern, stellt die anonyme Entwicklungszusammenarbeit deutlich höhere Anforderungen an unsere Grosszügigkeit. Weil uns das Vertrauen in ein Gegenüber fehlt, wird die Schweizer Aussenpolitik trotz unserer vielgepriesenen humanitären Tradition vor allem von Angst bestimmt. Mit der Reduktion der Anzahl Schwerpunktländer ist die DEZA zwar auf dem richtigen Weg. Und doch wird die Reduktion auf 12 Schwerpunktländer kaum zu einer erhöhten Identifikation mit diesen führen. Wer von uns kann nur schon die Hauptstadt von Tschad benennen oder weiss, welche Sprache in Benin gesprochen wird?

Eine Vision mit Beispielcharakter

Ich schlage vor, dass die Schweiz ihre gesamte bilaterale Entwicklungszusammenarbeit auf ein einziges „Schwesterland“ fokussiert. Die Schweiz soll eine echte Partnerschaft eingehen,

welche von Projekten auf politischer, wirtschaftlicher und insbesondere ziviler Ebene umfassend begleitet wird. Der Staat soll nicht nur eine faire Gesamtpolitik diesem Land gegenüber verantworten, sondern aktiv Möglichkeiten des gegenseitigen Austausches schaffen: So könnten zum Beispiel neben der technischen Entwicklungshilfe auch private Initiativen gefördert, sowie lokale und regionale Projekte unterstützen werden. Über die Jahre – ja vielleicht gar Generationen – hinweg würde so an der Basis eine Solidarität entstehen, die mehr Wert ist, als jede Top-down-Strategie zur Armutsminderung.

Es ist klar, dass dieser Plan nicht von heute auf morgen umgesetzt werden kann. Und es fragt sich, welches Land überhaupt in Frage käme und selber dazu bereit wäre, eine solche Partnerschaft einzugehen. Doch als Vision bietet die Idee einige spannende Perspektiven: Die Schweiz könnte sich gegenüber einem einzigen Land eher eine kohärente Gesamtpolitik leisten und so einen beispielhaften Best-Practice-Case schaffen. Liesse sich in einer Region des Südens durch diese Massnahmen die Lebensqualität deutlich verbessern, würde dieses Beispiel bestimmt Nachahmer finden. Als kleines Land brauchen wir nicht die Last der Welt auf den Schultern zu tragen und überall Hilfe leisten zu wollen – Hilfe, die in vielen Fällen nicht viel mehr ist als ein Tropfen auf den heissen Stein. Verantwortung wahrzunehmen kann auch bedeuten, Bedingungen zu schaffen, um einem überfälligen Paradigmenwechsel zum Durchbruch zu verhelfen. Einem Paradigmenwechsel, der darin liegt, dass wir nicht mehr bloss „Pfästerlipolitik“ betreiben, sondern uns zwar regional beschränkt, dafür mit bestem Wissen und Gewissen für eine nachhaltige Entwicklung des Südens einsetzen.

Mike Bucher ist freischaffender Moderator und lebt in Bern. Mit der in diesem Beitrag formulierten Idee hat er im Juli 2011 den ersten foraus Ideen-Battle gewonnen.

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